Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob eine Verteidigung im Strafprozess ins Wanken geraten kann, wenn der Anwalt selbst wegen Volksverhetzung angeklagt wird? Viele Menschen sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, die Grenze zwischen legitimer Verteidigung und strafbarem Verhalten zu erkennen. Glücklicherweise gibt es ein bedeutendes Urteil des Bundesgerichtshofs, das Klarheit schafft und als hilfreicher Leitfaden dienen kann, wenn Sie sich in einer solchen Situation befinden.
1 StR 502/99 Volksverhetzung durch Verteidigerantrag im Holocaust-Kontext
Fallübersicht
Konkrete Umstände
In diesem Fall geht es um einen Rechtsanwalt, der als Verteidiger eines ehemaligen Vorsitzenden der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) auftrat. Der Mandant des Anwalts war wegen Volksverhetzung (Aufstachelung des Volkes zu Hass und Gewalt) angeklagt. Während der Gerichtsverhandlung stellte der Anwalt einen umstrittenen Beweisantrag, der die historische Wahrheit des Holocausts in Frage stellte. Dieser Antrag führte schließlich zur eigenen Anklage des Anwalts wegen Volksverhetzung.
Kläger (Staatsanwaltschaft)
Die Staatsanwaltschaft argumentiert, dass der Anwalt durch seinen Beweisantrag den Holocaust verharmlost habe. Sie ist der Meinung, dass solche Äußerungen geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, insbesondere weil sie in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung mit Pressebeteiligung geäußert wurden. Außerdem sieht die Staatsanwaltschaft in dem Verhalten des Anwalts keine legitime Verteidigungstätigkeit, sondern reine Provokation.
Beklagter (Rechtsanwalt)
Der Anwalt verteidigt sich mit dem Argument, dass sein Handeln im Rahmen der Verteidigungsstrategie für seinen Mandanten lag. Er behauptet, dass er keineswegs den Holocaust leugnen oder verharmlosen wollte, sondern lediglich versuchte, die politische und historische Aufarbeitung des Themas zu hinterfragen. Er gibt an, dass seine Äußerungen in einem bestimmten Kontext zu verstehen seien und dass er als Verteidiger das Recht habe, auch unbequeme Fragen zu stellen.
Urteilsergebnis
Der Bundesgerichtshof entschied zugunsten der Staatsanwaltschaft. Der Anwalt wurde wegen Volksverhetzung verurteilt, da das Gericht zu dem Schluss kam, dass der Beweisantrag des Anwalts ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke verfolgte. Das Gericht stellte fest, dass der Antrag nicht im Interesse einer legitimen Verteidigung, sondern mit der Absicht gestellt wurde, revisionistische Ansichten zu verbreiten. Als Konsequenz muss der Anwalt eine Geldstrafe zahlen, und die Kosten des Verfahrens wurden teilweise der Staatskasse auferlegt.
Jugendlicher Dieb soll Geld an Wohltätigkeitsorganisation zahlen (1 StR 619/99) 👆1 StR 502/99 Relevante Gesetzesartikel
§ 130 Abs. 3 StGB
Der § 130 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) behandelt die Volksverhetzung, insbesondere das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen des Holocaust. Diese Regelung wurde eingeführt, um rechtsextremistischer Propaganda entgegenzuwirken. Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass der Holocaust in seiner historischen Wahrheit nicht herabgewürdigt wird. Eine Verharmlosung (also das Herunterspielen oder Beschönigen) der Verbrechen des Nationalsozialismus kann daher strafrechtliche Konsequenzen haben, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
§ 86 Abs. 3 StGB
§ 86 Abs. 3 StGB enthält die sogenannte Tatbestandsausschlussklausel. Diese Klausel besagt, dass bestimmte Handlungen, die eigentlich unter die strafbaren Taten fallen könnten, straffrei bleiben, wenn sie legitimen Zwecken wie der staatsbürgerlichen Aufklärung, Wissenschaft oder der Berichterstattung dienen. Diese Ausnahme gilt auch für die Strafverteidigung. Das bedeutet, dass ein Verteidiger, der im Rahmen seiner Tätigkeit handelt, nicht unter den Straftatbestand fällt, solange seine Handlungen tatsächlich der Verteidigung dienen und nicht lediglich den Anschein erwecken, es aber gar nicht sind.
§ 130 Abs. 5 StGB
Der § 130 Abs. 5 StGB verweist auf die Anwendung des § 86 Abs. 3 StGB in Fällen der Volksverhetzung. Diese Verweisung stellt sicher, dass die Tatbestandsausschlussklausel auch bei der Verfolgung von Delikten nach § 130 StGB zur Anwendung kommt. Dies ist besonders relevant für äußere Handlungen im Kontext der Holocaust-Verharmlosung, da hier die Abwägung zwischen legitimen Zwecken und volksverhetzenden Absichten entscheidend ist. Ein Verteidiger kann sich daher auf § 130 Abs. 5 StGB berufen, wenn er argumentiert, dass seine Handlungen im Rahmen einer legitimen Verteidigung stattfanden.
Anwalt kämpft gegen Widerruf wegen Schuldenkrise (AnwZ (B) 24/99) 👆1 StR 502/99 Urteilsgrundlagen
Grundlegende Auslegung
§ 130 Abs. 3 StGB
Der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB bezieht sich auf das öffentliche Leugnen, Billigen oder Verharmlosen von Völkermord, insbesondere des Holocausts. Dies bedeutet, dass jegliche Aussage, die den Holocaust in seinem Ausmaß oder seiner Bedeutung herunterspielt, grundsätzlich als Volksverhetzung gewertet werden kann. Ziel dieser Regelung ist es, die Würde der Opfer zu schützen und den öffentlichen Frieden zu wahren.
§ 86 Abs. 3 StGB
Dieser Paragraph sieht vor, dass die Strafbarkeit ausgeschlossen ist, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Wissenschaft, der Forschung oder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient. Der Zweck dieser Ausnahme ist es, legitime wissenschaftliche oder aufklärerische Tätigkeiten nicht zu beeinträchtigen.
§ 130 Abs. 5 StGB
Hier wird klargestellt, dass die Regelungen des § 86 Abs. 3 StGB auch auf den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB angewendet werden können. Daraus folgt, dass auch bei der Verharmlosung des Holocausts eine Ausnahme gemacht werden kann, wenn die Handlung einem legitimen Zweck dient.
Ausnahmsweise Auslegung
§ 130 Abs. 3 StGB
In Ausnahmefällen kann die Verharmlosung des Holocausts straflos bleiben, wenn die Erklärung in einem Kontext erfolgt, der der Aufklärung oder Verteidigung dient und nicht zur Störung des öffentlichen Friedens beiträgt. Solche Fälle sind jedoch sehr selten und unterliegen strenger Prüfung.
§ 86 Abs. 3 StGB
Die Ausnahme nach § 86 Abs. 3 StGB greift nur dann, wenn die Handlung tatsächlich einem der genannten legitimen Zwecke dient. Eine reine Behauptung, ohne substanzielle Beweise oder wissenschaftlichen Hintergrund, kann diese Ausnahme nicht rechtfertigen.
§ 130 Abs. 5 StGB
Auch hier gilt, dass die Ausnahme des § 86 Abs. 3 StGB nur dann greift, wenn der Zweck der Handlung eindeutig in den Bereich der legitimen Ziele fällt, wie etwa der wissenschaftlichen Forschung oder der Rechtsverteidigung, die tatsächlich zur Aufklärung eines Sachverhalts beiträgt.
Angewandte Auslegung
In diesem Fall wurde die Auslegung der relevanten Paragraphen so vorgenommen, dass die Tatbestandsausschlussklausel des § 86 Abs. 3 StGB nicht greift. Der Angeklagte hatte durch seinen Beweisantrag keine legitimen Verteidigungsziele verfolgt, sondern vielmehr revisionistische Ansichten geäußert, die nicht zur Aufklärung des konkreten Verfahrens beitrugen. Die Entscheidung beruht darauf, dass die Erklärung des Verteidigers keinen Bezug zur effektiven Strafverteidigung hatte und ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke verfolgte. Daher wurde der Grundsatz der freien Advokatur hier nicht verletzt, da die Handlung nicht dem Schutz anerkannter legitimer Ziele diente.
Verzinstes Schmerzensgeld ab Juli Was geschah im Februar (1 StR 502/00) 👆Volksverhetzung durch Verteidigerantrag Lösungsmöglichkeiten
1 StR 502/99 Lösungsmöglichkeiten
In diesem Fall wurde der Angeklagte, ein Rechtsanwalt, wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er einen Beweisantrag gestellt hatte, der den Holocaust verharmloste. Das Gericht entschied, dass seine Handlungen keine legitimen Verteidigungszwecke verfolgten, sondern politische Motive hatten. Der Angeklagte verlor den Fall, was zeigt, dass der gewählte Rechtsweg nicht erfolgreich war. Eine effektivere Strategie hätte möglicherweise darin bestanden, von Anfang an eine klare Distanz zu revisionistischen Ansichten zu wahren und ausschließlich auf rechtlich relevante und sachlich fundierte Verteidigungsstrategien zu setzen. Hätte der Angeklagte die politische Motivation seines Antrags vermieden, wäre eine Vermeidung der Strafbarkeit möglich gewesen. In solchen Fällen ist es ratsam, sich von einem erfahrenen Strafverteidiger beraten zu lassen, der das Risiko solcher Fehltritte minimieren kann. Selbstvertretung wäre hier nicht ratsam gewesen.
Ähnliche Fälle Lösungsmöglichkeiten
Unkenntnis der Verteidigerrolle
Wenn ein Verteidiger unabsichtlich die Grenzen seiner Rolle überschreitet und dabei möglicherweise strafbare Handlungen begeht, sollte er zunächst eine umfassende rechtliche Beratung in Anspruch nehmen. Ein erfahrener Strafverteidiger kann helfen, die zulässigen Grenzen der Verteidigung zu klären und sicherzustellen, dass keine ungewollten rechtlichen Konsequenzen eintreten. Ein Prozess kann vermieden werden, indem die Verteidigungsstrategie angepasst wird, um alle rechtlichen Standards einzuhalten.
Verteidigung ohne Beweisabsicht
In Fällen, in denen ein Verteidiger Beweisanträge stellt, die keine wirkliche Beweisabsicht verfolgen, sondern eher provokativ sind, ist es wichtig, diese Anträge vorab rechtlich zu prüfen. Wenn der Verteidiger feststellt, dass sein Handeln als provokativ angesehen werden könnte, sollte er alternative Verteidigungsmethoden in Betracht ziehen. Eine frühzeitige Beratung durch Kollegen oder einen spezialisierten Anwalt kann helfen, das Risiko einer Anklage wegen Volksverhetzung zu vermeiden.
Verteidiger mit politischem Motiv
Ein Verteidiger, der seine Rolle zur Verbreitung politischer Ansichten nutzt, riskiert, strafrechtlich belangt zu werden. In solchen Fällen ist es besser, politische Überzeugungen strikt von der Verteidigungstätigkeit zu trennen. Sollte eine politische Motivation nachgewiesen werden, ist es unwahrscheinlich, dass ein Gerichtsverfahren erfolgreich ist. Eine außergerichtliche Lösung oder der Rückzug von der Verteidigung kann in Betracht gezogen werden, um weitere rechtliche Probleme zu vermeiden.
Verteidigung während emotionaler Eskalation
In hitzigen Prozessen, in denen die Emotionen hochkochen, kann es leicht passieren, dass ein Verteidiger impulsiv handelt. In solchen Situationen ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und sich gegebenenfalls eine Pause zu nehmen, um die Situation neu zu bewerten. Ein erfahrener Verteidiger sollte in der Lage sein, emotionale Reaktionen zu kontrollieren und sich auf sachliche Argumente zu konzentrieren. Wenn eine Eskalation droht, kann der Anwalt versuchen, das Verfahren zu vertagen, um eine kühlere, objektive Verteidigung zu ermöglichen.
Geschwisterstreit um Hofstatus entfacht Familienkonflikt (BLw 5/00) 👆FAQ
Was ist Volksverhetzung?
Volksverhetzung ist eine Straftat, bei der Hass oder Gewalt gegen bestimmte Gruppen geschürt wird, oft durch diskriminierende oder hetzerische Äußerungen.
Wann gilt die Tatbestandsausschlussklausel?
Die Klausel greift, wenn Handlungen legitimen Zwecken wie Forschung, Lehre oder Strafverteidigung dienen, es sei denn, sie verfolgen ausschließlich verteidigungsfremde Ziele.
Was ist eine revisionistische Handlung?
Revisionistische Handlungen versuchen, historische Tatsachen, insbesondere den Holocaust, zu leugnen oder zu verharmlosen, oft mit dem Ziel, die Geschichte umzuschreiben.
Wie definiert man Verharmlosen?
Verharmlosen bedeutet, ein Ereignis oder eine Tat, hier den Holocaust, in seiner Schwere herunterzuspielen oder die Opferzahl zu relativieren.
Welche Rolle spielt der Holocaust in diesem Fall?
Der Holocaust ist zentral, da der Verteidiger durch seinen Antrag den Holocaust relativierte, was als Volksverhetzung gewertet wurde.
Warum war der Beweisantrag problematisch?
Der Antrag stellte den Holocaust in Frage und verfolgte keine legitimen Verteidigungszwecke, sondern diente politisch-demonstrativen Zielen.
Was bedeutet “öffentlicher Frieden”?
Öffentlicher Frieden bezieht sich auf den gesellschaftlichen Zustand, in dem keine Feindseligkeiten oder Konflikte provoziert werden, was durch Volksverhetzung gestört werden kann.
Wie wirkt sich politische Absicht aus?
Politische Absichten können dazu führen, dass Handlungen nicht mehr unter den Schutz der Tatbestandsausschlussklausel fallen, wenn sie nicht der Verteidigung dienen.
Welche Strafen drohen bei Volksverhetzung?
Bei Volksverhetzung drohen Geld- oder Freiheitsstrafen, abhängig von der Schwere und den Umständen der Tat.
Wie schützt man die freie Advokatur?
Die freie Advokatur wird geschützt, indem Verteidigungshandlungen nicht als strafbar gelten, solange sie legitimen Zwecken dienen und nicht rein demonstrativ sind.
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Notar im Zwiespalt: Aufsichtsrat oder Unabhängigkeit? (NotZ 14/00) 👆