Haben Sie sich schon einmal gefragt, was passiert, wenn eine geplante Auseinandersetzung außer Kontrolle gerät und rechtliche Konsequenzen nach sich zieht? Viele Menschen finden sich in ähnlichen Situationen wieder und wissen nicht, welche rechtlichen Schritte sie unternehmen können. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs bietet in solchen Fällen Klarheit und zeigt, wie das Prinzip der "actio libera in causa" angewendet wird; daher lohnt es sich, diesen Fall genauer zu betrachten.
2 StR 135/00 Freiheitsberaubung und Körperverletzung
Fallbeschreibung
Konkrete Umstände
Es war einmal ein Mann, den wir hier als Zeuge W. bezeichnen. Er hatte sich von der Schwester des Mitangeklagten L. getrennt, was zu einigen Spannungen führte. Der Mitangeklagte L. und sein Bruder wollten dem Zeugen W. eine “Abreibung” verpassen, fühlten sich ihm jedoch körperlich unterlegen. Daher überredeten sie den Angeklagten G., ihnen zu helfen. Am späten Abend des 11. Mai 1998 begaben sich die Brüder L. und der Angeklagte G. zur Wohnung der Freundin von W. und trafen ihn zufällig am Eingang. Sie zwangen ihn, gegen seinen Willen in ein Auto zu steigen, und brachten ihn in eine einsame Gegend. Dort wurde er mit Fäusten und Ästen geschlagen und mit einem Elektroschocker misshandelt.
Behauptungen des Klägers (Zeuge W.)
Zeuge W., der sich in einer bedrohlichen Lage befand, behauptet, dass er ohne sein Einverständnis in das Auto gezerrt und in eine einsame Gegend gebracht wurde. Dort sei er körperlich misshandelt worden, was zu Schürfwunden, Prellungen und dem Verlust von zwei Schneidezähnen geführt habe. Er sagt, dass die Tat von den Gebrüdern L. und dem Angeklagten G. geplant und durchgeführt wurde.
Behauptungen des Beklagten (Angeklagter G.)
Der Angeklagte G. gibt an, dass er am Tatabend unter erheblichem Alkoholeinfluss stand und seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sein könnte. Er behauptet, dass er nicht in der Lage war, die volle Tragweite seiner Handlungen zu erkennen, da er bereits am Nachmittag begonnen hatte, Alkohol zu trinken.
Urteilsergebnis
In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft die Revision eingelegt und gewonnen. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. November 1999 wurde im Strafausspruch aufgehoben, soweit es den Angeklagten G. betrifft. Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die ursprüngliche Strafrahmenverschiebung wurde als rechtsfehlerhaft angesehen, da der Angeklagte zum Zeitpunkt des Tatentschlusses noch voll schuldfähig war.
Verlorene Akten verzögern Gerechtigkeit im Raubfall (2 StR 39/00) 👆2 StR 135/00 Relevante Rechtsvorschriften
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
§ 21 StGB bezieht sich auf die verminderte Schuldfähigkeit einer Person aufgrund von besonderen Umständen, wie z.B. Alkoholkonsum oder psychischen Störungen. In diesem Fall wurde die Frage diskutiert, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt aufgrund seines Alkoholkonsums in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war. Das Gericht stellte fest, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt des Tatentschlusses noch voll schuldfähig war, da er den größten Teil des Alkohols erst nach der Entscheidung, die Tat zu begehen, konsumiert hatte. Daher wurde § 21 StGB hier nicht angewendet, um eine Strafmilderung zu rechtfertigen.
§ 49 StGB Strafmilderung
§ 49 StGB ermöglicht eine Milderung der Strafe, wenn bestimmte mildernde Umstände vorliegen. Die Anwendung dieses Paragrafen hängt oft mit § 21 StGB zusammen, da verminderte Schuldfähigkeit in Betracht gezogen werden kann, um die Strafe zu reduzieren. In diesem Fall wurde die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB geprüft, basierend auf der Annahme, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt möglicherweise eingeschränkt schuldfähig war. Jedoch entschied das Gericht, dass eine Strafrahmenverschiebung nicht gerechtfertigt war, da der Angeklagte bei der Planung der Tat noch nicht unter erheblichem Alkoholeinfluss stand.
Actio libera in causa Grundsatz
Der Grundsatz der “actio libera in causa” besagt, dass eine Person, die sich selbst in einen Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt, um eine Straftat zu begehen, dennoch voll zur Verantwortung gezogen werden kann. In diesem Fall war entscheidend, dass der Angeklagte bereits vor dem maßgeblichen Alkoholkonsum den Entschluss gefasst hatte, die Tat zu begehen. Dies bedeutet, dass die spätere Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit durch Alkohol nicht als Entschuldigung gelten konnte. Das Gericht stellte fest, dass die Grundsätze der actio libera in causa Anwendung finden, da der Tatentschluss bereits bestand, bevor der Angeklagte erheblich alkoholisiert war.
Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer sorgt für Aufsehen (2 StR 256/00) 👆2 StR 135/00 Maßstäbe der Entscheidung
Grundsätzliche Auslegung
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
Der § 21 StGB erlaubt eine Strafmilderung, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit einer Person zur Tatzeit aufgrund eines psychischen Zustands, wie z.B. Alkohol- oder Drogenkonsum, beeinträchtigt war. Grundsätzlich wird hier geprüft, ob der Angeklagte aufgrund seines Zustands nicht vollständig in der Lage war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
§ 49 StGB Strafmilderung
§ 49 StGB bietet die Möglichkeit, eine Strafe zu mildern, wenn besondere Umstände vorliegen, die die Schuld des Täters mindern. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Täter unter erheblichen psychischen oder physischen Belastungen stand. Die Entscheidung über eine Strafmilderung liegt im Ermessen des Gerichts und berücksichtigt die individuellen Umstände des Falles.
Actio libera in causa Grundsatz
Der Grundsatz der actio libera in causa besagt, dass eine Person auch dann verantwortlich für eine Tat ist, wenn sie sich vorsätzlich oder fahrlässig in einen Zustand versetzt hat, der ihre Schuldfähigkeit beeinträchtigt. Dies bedeutet, dass der Täter nicht von der Verantwortung für seine Tat befreit wird, nur weil er z.B. unter Alkoholeinfluss stand, wenn er diesen Zustand selbst herbeigeführt hat.
Ausnahmeauslegung
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
In Ausnahmefällen kann eine verminderte Schuldfähigkeit auch dann nicht zur Strafmilderung führen, wenn der Täter seine Beeinträchtigung vorsätzlich herbeigeführt hat, um eine Straftat zu begehen. Hier wird geprüft, ob der Täter die Tat bereits geplant hatte, bevor der beeinträchtigende Zustand eintrat.
§ 49 StGB Strafmilderung
Eine Ausnahme bei der Anwendung von § 49 StGB kann vorliegen, wenn die Milderungsgründe durch das eigene Verhalten des Täters entwertet werden, z.B. wenn der Täter bewusst einen Zustand herbeiführt, der seine Schuldfähigkeit mindert, um dadurch eine Strafmilderung zu erreichen.
Actio libera in causa Grundsatz
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann in Fällen bestehen, in denen der Täter unverschuldet in einen Zustand der verminderten Schuldfähigkeit gerät. Hier wäre zu prüfen, ob der Täter die Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit nicht voraussehen konnte oder nicht vermeiden konnte.
Angewandte Auslegung
In diesem speziellen Fall wurde die Auslegung des § 21 StGB und die Strafmilderung nach § 49 StGB nicht gewährt, da der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tatplanung voll schuldfähig war. Das Gericht hat den Grundsatz der actio libera in causa angewendet, da der Angeklagte sich erst nach der Planung in einen Zustand verminderter Schuldfähigkeit versetzt hat. Somit war die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit für die Strafzumessung irrelevant, weil der Tatentschluss bereits in einem schuldfähigen Zustand gefasst wurde.
Überraschende Wendung auf dem Spielplatz in Köln (2 StR 372/00) 👆Freiheitsberaubung Lösungsmöglichkeiten
2 StR 135/00 Lösungsmethode
Im Fall 2 StR 135/00 hat die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision Erfolg gehabt, was bedeutet, dass die ursprüngliche Entscheidung des Landgerichts zugunsten des Angeklagten teilweise aufgehoben wurde. Dies zeigt, dass der rechtliche Weg, die Entscheidung anzufechten, hier der richtige Ansatz war. Für die Staatsanwaltschaft war es von Vorteil, die Expertise eines erfahrenen Anwalts in Anspruch zu nehmen, um die Erfolgsaussichten der Revision zu maximieren. Für Angeklagte in ähnlichen Situationen könnte es ratsam sein, ebenfalls rechtlichen Rat einzuholen, um die Chancen auf eine erfolgreiche Verteidigung zu verbessern.
Ähnliche Fälle Lösungsmöglichkeiten
Streit über die Verwendung von Elektrogeräten
In einem Fall, in dem eine Person beschuldigt wird, ein Elektroschockgerät ohne berechtigten Grund verwendet zu haben, könnte eine außergerichtliche Einigung eine sinnvolle Lösung sein. Wenn beide Parteien bereit sind, Kompromisse einzugehen, kann ein Mediator helfen, eine zufriedenstellende Lösung zu finden, ohne dass ein Gerichtsverfahren notwendig wird.
Alkoholbedingte Entscheidung
Wenn eine Person unter Alkoholeinfluss eine Straftat begangen hat, sollte sie in Betracht ziehen, sich freiwillig einem Entzugsprogramm zu unterziehen und dies als mildernden Umstand in einem Gerichtsverfahren vorzubringen. Ein Rechtsanwalt kann dabei helfen, die besten Argumente für das Gericht vorzubereiten. In einigen Fällen kann dies die Strafe erheblich mildern.
Planung ohne direkte Beteiligung
In Situationen, in denen jemand für die Planung, jedoch nicht für die unmittelbare Ausführung einer Straftat verantwortlich gemacht wird, könnte eine Verteidigungsstrategie sein, die eigene Rolle zu minimieren und die tatsächliche Beteiligung zu betonen. Hier kann es sinnvoll sein, rechtlichen Beistand zu suchen, um die eigene Position klar und effektiv darzulegen.
Körperverletzung ohne Vorwarnung
Falls eine Person ohne Vorwarnung in eine körperliche Auseinandersetzung verwickelt wird, ist es oft am besten, zunächst eine polizeiliche Anzeige zu erstatten. Sollte der Fall vor Gericht gehen, wäre es ratsam, einen Anwalt zu konsultieren, um die beste Verteidigungsstrategie zu entwickeln, insbesondere wenn Notwehr geltend gemacht werden soll.
Rechtsanwalt kämpft um Zulassung trotz Schuldenchaos (AnwZ (B) 19/99) 👆FAQ
Was ist actio libera in causa?
Actio libera in causa bedeutet, dass eine Person für eine Tat verantwortlich gemacht werden kann, obwohl sie zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war, weil sie sich vorsätzlich in diesen Zustand versetzt hat.
Wie wirkt Alkohol auf die Schuld?
Alkohol kann die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinflussen. Bei verminderter Schuldfähigkeit kann dies zu einer Strafmilderung führen, es sei denn, die actio libera in causa greift.
Was ist verminderte Schuldfähigkeit?
Verminderte Schuldfähigkeit liegt vor, wenn die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert ist, oft durch Alkohol oder Drogen.
Wann gilt eine Strafmilderung?
Eine Strafmilderung kann nach § 21 StGB erfolgen, wenn die Schuldfähigkeit des Täters zur Tatzeit erheblich vermindert war. Der Richter hat hierbei Ermessensspielraum.
Warum wurde die Strafe ausgesetzt?
Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, weil das Gericht der Ansicht war, dass der Angeklagte nicht erneut straffällig werden wird und die Strafe ihren Zweck auch ohne Vollzug erfüllt.
Wie wird eine Gesamtfreiheitsstrafe bestimmt?
Eine Gesamtfreiheitsstrafe wird gebildet, wenn jemand wegen mehrerer Taten verurteilt wird. Sie wird unter Berücksichtigung der Einzelstrafen festgesetzt, darf aber die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen.
Welche Rolle spielt der Zeuge?
Der Zeuge ist das Opfer der Freiheitsberaubung und Körperverletzung. Seine Aussagen sind entscheidend für die Feststellung des Tathergangs und der Täterschaft der Angeklagten.
Wie wird die Blutalkoholkonzentration berechnet?
Die Blutalkoholkonzentration wird anhand der aufgenommenen Alkoholmenge, der Zeitspanne und des Körpergewichts berechnet. Sie beeinflusst die Bewertung der Schuldfähigkeit im Strafverfahren.
Was bedeutet Freiheitsberaubung?
Freiheitsberaubung ist die rechtswidrige Verwehrung der Freiheit einer Person, also das Festhalten oder Einsperren gegen ihren Willen. Sie ist strafbar nach § 239 StGB.
Welche Bedeutung hat das Urteil?
Das Urteil hebt den Strafausspruch auf und verweist die Sache zur neuen Verhandlung zurück. Es betont die Bedeutung der actio libera in causa und die korrekte Anwendung der Strafrahmenverschiebung.
Verlorene Akten verzögern Gerechtigkeit im Raubfall (2 StR 39/00)
Bestechung am Flughafen – Wer steckt dahinter? (2 StR 43/00) 👆