Haben Sie sich jemals gefragt, ob eine psychiatrische Unterbringung tatsächlich gerechtfertigt ist? Viele Menschen stehen vor ähnlichen Herausforderungen, insbesondere wenn es um die rechtliche Bewertung von psychischen Erkrankungen im Strafverfahren geht. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs bietet hierbei Klarheit und könnte eine Lösung für Ihre Situation darstellen.
2 StR 162/00 Gefährliche Körperverletzung und Unterbringung
Fallübersicht
Konkrete Situation
Ein Mann, der anonym bleiben soll, wurde mehrmals der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt. In den Jahren 1992, 1993 und 1995 soll er seine Lebensgefährtin mit verschiedenen Gegenständen wie einem Messer, einer Kaffeekanne und einer Bierflasche erheblich misshandelt haben. Aufgrund seiner psychischen Verfassung wurde er jedoch nicht für schuldfähig befunden. Stattdessen ordnete das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Mann ist mit diesem Urteil nicht einverstanden und legte Revision ein, da er die Verletzung seines materiellen Rechts rügt.
Ansprüche des Klägers (Angeklagter)
Der Kläger, also der Angeklagte, behauptet, dass das Urteil des Landgerichts nicht rechtmäßig sei, insbesondere in Bezug auf die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Er ist der Ansicht, dass seine Schuldunfähigkeit nicht ausreichend bewiesen wurde und die dafür herangezogenen Kriterien des Landgerichts unzureichend und fehlerhaft seien.
Ansprüche des Beklagten (Staat)
Der Beklagte, in diesem Fall der Staat, vertritt die Auffassung, dass der Angeklagte aufgrund seiner Handlungen und psychischen Verfassung eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle und daher seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gerechtfertigt sei. Die Bewertung des Landgerichts basiere auf der Einschätzung eines Sachverständigen, der eine dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert habe.
Urteilsergebnis
Der Kläger hat in diesem Fall obsiegt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Gera aufgehoben, soweit es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus betrifft. Das Verfahren wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Aufhebung erfolgte aufgrund unzureichender Begründung hinsichtlich der psychiatrischen Unterbringung, insbesondere in Bezug auf die Diagnose und die mögliche Rolle von Alkohol- und Medikamentenmissbrauch bei den Taten.
Rechtsanwalt gibt auf: Kanzleiaufgabe und Vermögensverfall (AnwZ (B) 28/98) 👆2 StR 162/00 Relevante Rechtsvorschriften
§ 63 StGB Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Dieser Paragraf betrifft die Unterbringung eines Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dies kann angeordnet werden, wenn der Täter an einer psychischen Störung leidet, die seine Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigt und deshalb eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. In diesem Fall wurde die Anordnung der Unterbringung in Frage gestellt, da keine ausreichende Begründung für die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit vorlag.
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
Nach § 21 StGB kann die Schuldfähigkeit eines Täters als vermindert angesehen werden, wenn er aufgrund einer psychischen Störung nur eingeschränkt in der Lage ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Die Diskussion im Urteil dreht sich um die Frage, ob eine “dissoziale Persönlichkeitsstörung” ausreicht, um eine derartige Verminderung der Schuldfähigkeit zu begründen. Hierbei wurde festgestellt, dass die bloße Diagnose einer solchen Störung ohne konkrete Tatsachen keine ausreichende Grundlage bietet.
§ 64 StGB Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Diese Vorschrift ermöglicht die Unterbringung eines Täters in einer Entziehungsanstalt, wenn er alkohol- oder drogenabhängig ist und seine Abhängigkeit in direktem Zusammenhang mit der Tat steht. Im vorliegenden Fall wurde die Möglichkeit dieser Unterbringung nicht ausreichend geprüft, obwohl beim Angeklagten eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit festgestellt wurde. Die Frage, ob eine Therapie in einer Entziehungsanstalt die Rückfallgefahr erheblich verringern könnte, hätte näher untersucht werden müssen.
Ein Diebeskomplott und die Suche nach Gerechtigkeit (2 StR 279/00) 👆2 StR 162/00 Entscheidungsgrundlage
Grundsätzliche Auslegung
§ 63 StGB Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Die grundsätzliche Auslegung von § 63 StGB betrifft die Unterbringung einer Person, die wegen einer psychischen Störung nicht für ihre Straftaten verantwortlich gemacht werden kann. Diese Maßnahme dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren gefährlichen Handlungen des Täters. Eine solche Unterbringung wird angeordnet, wenn aufgrund der psychischen Störung die Gefahr besteht, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begeht.
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
Der § 21 StGB befasst sich mit der verminderten Schuldfähigkeit (also einer eingeschränkten Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln). Eine solche Verminderung kann sich aus einer psychischen Störung, wie zum Beispiel einer schweren seelischen Abartigkeit, ergeben. Die verminderte Schuldfähigkeit kann zur Milderung der Strafe führen, aber nicht zwingend zur Vermeidung derselben.
§ 64 StGB Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Nach § 64 StGB erfolgt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, wenn der Täter aufgrund einer Sucht (wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit) zu Straftaten neigt und die Aussicht besteht, dass eine Behandlung erfolgreich sein könnte. Diese Maßnahme ist darauf ausgerichtet, den Täter zu therapieren und zukünftige Straftaten zu verhindern.
Ausnahmsweise Auslegung
§ 63 StGB Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
In Ausnahmefällen kann die Anwendung von § 63 StGB auch dann in Betracht kommen, wenn die psychische Störung zwar nicht direkt zu einer erheblichen verminderten Schuldfähigkeit führt, aber dennoch ein erhebliches Risiko für die Allgemeinheit darstellt. Hierbei wird besonders auf die Prognose zukünftiger Taten geachtet.
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
Ausnahmsweise kann § 21 StGB auch zur Anwendung kommen, wenn die psychische Störung des Täters nicht als “schwere seelische Abartigkeit” eingestuft wird, aber dennoch die Fähigkeit zur Steuerung des eigenen Handelns erheblich beeinträchtigt ist.
§ 64 StGB Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Ein Ausnahmefall bei § 64 StGB wäre gegeben, wenn eine Sucht zwar diagnostiziert wurde, die Behandlung jedoch nicht als vorrangig gegenüber anderen psychischen Problemen angesehen wird. Dennoch könnte die Maßnahme greifen, wenn eine enge Verknüpfung zwischen Sucht und Straftaten besteht.
Angewandte Auslegung
In diesem Fall wurde die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB aufgehoben, da die rechtlichen Voraussetzungen nicht ausreichend dargelegt waren. Die Entscheidung des Landgerichts stützte sich auf eine “dissoziale Persönlichkeitsstörung”, ohne hinreichend zu klären, inwieweit diese Störung konkret die Schuldfähigkeit des Angeklagten beeinträchtigte. Auch die Möglichkeit einer Unterbringung nach § 64 StGB wurde nicht angemessen geprüft, obwohl der Angeklagte alkohol- und medikamentensüchtig war. Die Entscheidung zeigt, dass eine sorgfältige Abwägung zwischen den verschiedenen Auslegungen erforderlich ist, um den rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Revision ohne Begründung eingereicht Was nun (2 StR 101/00) 👆Unterbringungslösung
2 StR 162/00 Lösung
In diesem Fall wurde die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben. Die Entscheidung basiert auf der unzureichenden Begründung des Landgerichts, insbesondere in Bezug auf die Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg, was darauf hinweist, dass der Weg über die Revision in diesem Fall die richtige Entscheidung war. Die Entscheidung zeigt, dass in komplexen Fällen, in denen psychiatrische Gutachten und die Frage der Schuldfähigkeit im Vordergrund stehen, die Unterstützung durch einen erfahrenen Anwalt von entscheidendem Vorteil sein kann. Eine eigenständige rechtliche Vertretung in solchen komplexen Fällen wäre weniger ratsam gewesen.
Ähnliche Fälle Lösung
Alkoholabhängigkeit ohne Gewalttaten
Bei einer Alkoholabhängigkeit, die zu keiner Gewaltanwendung führt, könnte eine freiwillige Therapie als Alternative zur Unterbringung in Betracht gezogen werden. In einem solchen Fall wäre eine außergerichtliche Einigung, möglicherweise mit Unterstützung eines Therapeuten, ratsam. Ein Gerichtsverfahren könnte vermieden werden, um die Heilung im Vordergrund zu belassen.
Psychische Störung ohne Fremdgefährdung
Handelt es sich um eine psychische Störung ohne konkrete Fremdgefährdung, könnte eine ambulante Therapie in Verbindung mit regelmäßigen ärztlichen Kontrollen eine geeignete Lösung sein. Hier wäre der Gang vor Gericht möglicherweise nicht erforderlich, solange eine freiwillige Behandlung und Betreuung gewährleistet ist.
Erstmalige Straftat unter Drogeneinfluss
Bei einer erstmaligen Straftat, die unter Drogeneinfluss begangen wurde, könnte eine gerichtliche Diversion oder ein außergerichtlicher Tatausgleich in Betracht gezogen werden. In solchen Fällen wäre es sinnvoll, auf eine gerichtliche Auseinandersetzung zu verzichten und stattdessen auf eine Therapieeinrichtung zu setzen, die auf Drogenmissbrauch spezialisiert ist.
Chronische Erkrankung ohne Therapieaussicht
Bei einer chronischen Erkrankung, die als therapieresistent gilt, sollte geprüft werden, ob überhaupt eine Unterbringung notwendig ist, oder ob alternative Betreuungsformen, wie beispielsweise betreutes Wohnen, sinnvoller sind. Eine rechtliche Auseinandersetzung könnte in solchen Fällen vermieden werden, wenn die involvierten Parteien zu einer einvernehmlichen Lösung gelangen, die die Lebensqualität des Betroffenen nicht weiter einschränkt.
Drogenhandel in großen Mengen: Überraschung im Gerichtssaal (2 StR 66/00) 👆FAQ
Was bedeutet StGB?
StGB steht für Strafgesetzbuch, das die zentralen Strafvorschriften in Deutschland enthält.
Wann ist Schuldfähigkeit vermindert?
Schuldfähigkeit ist vermindert, wenn eine Person aufgrund psychischer Störungen die Unrechtseinsicht oder Steuerungsfähigkeit erheblich reduziert ist.
Was ist eine Entziehungsanstalt?
Eine Entziehungsanstalt ist eine Einrichtung zur Behandlung von Suchtkrankheiten, wo Täter therapiert werden, um zukünftige Straftaten zu verhindern.
Wie lange dauert die Unterbringung?
Die Dauer der Unterbringung ist nicht festgelegt und hängt von der Notwendigkeit der Behandlung zur Gefahrenabwehr ab.
Wann wird eine Revision eingereicht?
Eine Revision wird eingereicht, wenn eine Partei mit einem Urteil nicht einverstanden ist und eine Überprüfung durch ein höheres Gericht anstrebt.
Wie beeinflusst Alkohol das Urteil?
Alkoholkonsum kann die Schuldfähigkeit eines Täters beeinträchtigen und wird bei der Strafzumessung berücksichtigt.
Welche Rolle spielt die ICD-10?
ICD-10 ist eine Klassifikation von Krankheiten, die zur Diagnose seelischer Störungen herangezogen wird, aber nicht direkt die Schuldfähigkeit bestimmt.
Was ist eine dissoziale Persönlichkeitsstörung?
Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung ist durch mangelnde Empathie, Impulsivität und Missachtung sozialer Normen gekennzeichnet.
Wie wird eine Gefahrprognose erstellt?
Eine Gefahrprognose wird durch die Analyse der Täterpersönlichkeit, der Anlasstaten und des Therapiepotentials erstellt.
Wann verjährt eine Straftat?
Die Verjährung hängt von der Schwere der Tat ab und beginnt mit der Beendigung der Straftat; sie kann durch bestimmte Handlungen unterbrochen werden.
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