Viele Unternehmen kämpfen mit den strengen Werbevorschriften für Biozidprodukte. Möchten Sie wissen, wie Gerichte in solchen Fällen entscheiden? Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs bietet Klarheit und könnte als wertvolle Orientierungshilfe dienen.
I ZR 197/22 Situation

Sachverhalt
Im Fall I ZR 197/22 ging es um die Werbung eines Desinfektionsschaums durch ein deutsches Tochterunternehmen eines schwedischen Konzerns. Die Werbung enthielt Aussagen wie “Sanft zur Haut” und “Hautfreundliche Produktlösung als Schaum”. Diese Aussagen wurden in der Lebensmittel Zeitung veröffentlicht und auch auf dem Produktetikett abgebildet. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., die Klägerin, sah darin einen Verstoß gegen die Verordnung (EU) Nr. 528/2012. Die Beklagte, das Tochterunternehmen, wurde daraufhin abgemahnt, reagierte jedoch nicht gemäß den Forderungen der Klägerin.
Urteilsergebnis
In dem Urteil des Bundesgerichtshofs wurde die Beklagte verurteilt, die beanstandeten Werbeaussagen zu unterlassen. Weiterhin wurde sie verpflichtet, der Klägerin einen Betrag von 374,50 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Beklagten auferlegt. Der Gerichtshof entschied, dass die genannten Werbeaussagen einen Verstoß gegen Artikel 72 Absatz 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 darstellen, da sie irreführend sind und somit gegen das Verbot ähnlicher Hinweise verstoßen.
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Art 72 Abs 3
Der Artikel 72 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 ist eine zentrale Norm, die sich mit der Werbung für Biozidprodukte befasst. Biozidprodukte sind chemische oder biologische Mittel, die dazu bestimmt sind, Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken oder unschädlich zu machen. Diese Verordnung stellt sicher, dass solche Produkte sicher verwendet werden und keine irreführenden Informationen verbreitet werden. Der besagte Artikel verbietet in der Werbung für Biozidprodukte den Gebrauch bestimmter Aussagen, die als irreführend oder unzulässig gelten können.
Verbotene Angaben
Art 72 Abs 3 Satz 2 der Verordnung legt fest, dass Angaben wie “sanft zur Haut” oder “hautfreundlich” in der Werbung für Biozidprodukte nicht zulässig sind. Dieser Satz zielt darauf ab, Verbrauchern (Personen, die Produkte kaufen und verwenden) keine falsche Sicherheit zu vermitteln, dass ein Biozidprodukt unbedenklich für die Gesundheit sei. Die Norm schützt somit vor einer Täuschung des Verbrauchers über die tatsächlichen Eigenschaften des Produkts.
Zweck des Verbots
Der Zweck der Norm ist es, eine allgemeine Irreführungsgefahr zu vermeiden. Dies bedeutet, dass die Norm unabhängig davon greift, ob die konkrete Werbung eine tatsächliche Irreführung darstellt. Es ist irrelevant, ob der durchschnittliche Verbraucher tatsächlich getäuscht wird. Vielmehr wird eine abstrakte Gefährdung der Verbraucherinteressen angenommen, die durch die Verwendung solcher Angaben entsteht. Diese Regelung soll sicherstellen, dass Verbraucher nicht durch Werbeaussagen in die Irre geführt werden, die ihnen eine falsche Vorstellung von der Sicherheit oder den Eigenschaften eines Produkts vermitteln.
Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich der Norm umfasst alle Biozidprodukte, unabhängig von ihrem spezifischen Gefährdungspotenzial. Dies bedeutet, dass auch Produkte, die als weniger gefährlich eingestuft werden, den strengen Anforderungen an die Werbung unterliegen. Es ist somit unerheblich, ob das Produkt tatsächlich schädlich ist oder nicht; die Vorschrift verbietet grundsätzlich die Verwendung bestimmter Angaben.
Rechtsfolgen bei Verstößen
Verstöße gegen Art 72 Abs 3 der Verordnung können erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Unternehmen, die gegen diese Vorschrift verstoßen, riskieren rechtliche Schritte von Wettbewerbern oder Verbraucherschutzorganisationen, die im Interesse des lauteren Wettbewerbs handeln. Solche Rechtsstreitigkeiten können zu gerichtlichen Verfügungen führen, die es den betroffenen Unternehmen untersagen, die unzulässigen Werbeaussagen weiter zu verwenden. Zudem können Ordnungsgelder verhängt werden, die bei fortgesetzten Verstößen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen können.
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Anwendung der Rechtsnorm
Grundsatzinterpretation
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in der Rechtssache I ZR 197/22 basiert auf der Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012. Diese Vorschrift verbietet es, in der Werbung für Biozidprodukte Angaben zu machen, die den Eindruck erwecken könnten, das Produkt sei sicherer als andere Produkte, die zur gleichen Anwendung bestimmt sind. Die Behauptungen “Sanft zur Haut”, “Hautfreundliche Produktlösung als Schaum” und “Konsumenten sind überzeugt – 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit” wurden vom Gericht als solche irreführenden Angaben eingestuft. Die Grundsatzinterpretation dieser Norm erfordert, dass jegliche Darstellung, die auf eine besondere Sicherheit oder Verträglichkeit hinweist, unter dieses Verbot fällt, unabhängig von der tatsächlichen Gefährlichkeit des Produkts. Dies bedeutet, dass der Schutz der Verbraucher (Personen, die Produkte kaufen oder nutzen) und die Vermeidung von Irreführungen im Zentrum der Norm stehen.
Ausnahmeinterpretation
Interessant ist, dass der BGH in seiner Entscheidung keine Ausnahme von diesem Verbot zugelassen hat. Die Ausnahmeinterpretation wäre nur dann möglich gewesen, wenn die Beklagte nachweisen könnte, dass ihre Aussagen auf wissenschaftlich fundierten Studien beruhen, die eine über die Anforderungen der Verordnung hinausgehende Sicherheit belegen. Ein solcher Nachweis wurde jedoch im vorliegenden Fall nicht erbracht, weshalb der BGH keine Ausnahme von der strengen Anwendung der Verordnung zugelassen hat. Diese restriktive Auslegung soll verhindern, dass Verbraucher durch unzureichend belegte Werbeaussagen in die Irre geführt werden. Der BGH betont, dass eine Ausnahmeinterpretation nur dann in Betracht kommt, wenn eine absolute und unzweifelhafte Sicherheit durch unabhängige Zertifizierungen nachgewiesen werden kann, was hier nicht der Fall war.
Urteilsbegründung
Die Urteilsbegründung des BGH fußt auf der Annahme, dass die angesprochenen Werbeaussagen geeignet sind, eine allgemeine Irreführungsgefahr zu erzeugen. Der BGH hat festgestellt, dass der durchschnittliche Verbraucher (eine Person, die nicht über spezielle Fachkenntnisse verfügt) durch solche Angaben in die Irre geführt werden könnte, da sie suggerieren, dass das Produkt sicherer oder verträglicher sei als andere vergleichbare Produkte. Wichtig ist dabei, dass die Irreführungsgefahr abstrakt betrachtet wird, ohne dass es auf eine konkrete Täuschung im Einzelfall ankommt. Dies folgt aus einer objektiven Betrachtung der Werbeaussagen und ihrer Wirkung auf den allgemeinen Verkehrskreis. Die Entscheidung des Gerichts wurde auch durch frühere Urteile gestützt, die die gleiche Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 bekräftigten. Insgesamt zeigt die Begründung des BGH, dass der Verbraucherschutz im Mittelpunkt steht und irreführende Werbung, die auf vermeintlicher Sicherheit basiert, strikt untersagt bleibt.
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C-296/23
Sachverhalt
In diesem Fall hatte der EuGH über die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 zu entscheiden. Im Kern ging es um die Frage, ob die Aussagen “hautverträglich” in der Werbung von Biozidprodukten zulässig sind. Ein Unternehmen hatte seine Produkte mit solchen Aussagen beworben. Die Wettbewerbszentrale hielt dies für irreführend und klagte. Der EuGH musste klären, ob solche Angaben unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung fallen.
Urteil
Der EuGH entschied, dass die Aussagen “hautverträglich” und ähnliche Formulierungen in der Werbung für Biozidprodukte nicht zulässig sind. Diese Angaben könnten Verbraucher in die Irre führen, da sie eine Sicherheit suggerieren, die das Produkt möglicherweise nicht bietet. Das Gericht stellte klar, dass solche Hinweise unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung fallen.
Unterschiede
Der wesentliche Unterschied zum Fall I ZR 197/22 besteht darin, dass der EuGH den Fall auf europäischer Ebene entschied und damit die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 für alle Mitgliedstaaten präzisierte. Während im deutschen Fall spezifische Aussagen wie “sanft zur Haut” im Mittelpunkt standen, wurden im EuGH-Fall allgemeinere Aussagen geprüft.
I ZR 108/22
Sachverhalt
Der Fall I ZR 108/22 betraf ebenfalls die Werbung für ein Desinfektionsmittel. Die Beklagte hatte mit der Aussage “Hautfreundliches Desinfektionsmittel” geworben. Die Klägerin, eine Verbraucherschutzorganisation, argumentierte, dass diese Aussage irreführend sei, da sie eine unzulässige Sicherheit suggeriere. Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben, woraufhin die Beklagte in Berufung ging.
Urteil
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und entschied, dass die Aussage “hautfreundlich” irreführend sei und unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 fällt. Die Werbung durfte daher nicht mehr verwendet werden.
Unterschiede
Im Vergleich zum Fall I ZR 197/22 lag der Fokus hier stärker auf der Begrifflichkeit “hautfreundlich”. Während im Fall I ZR 197/22 mehrere Aussagen geprüft wurden, konzentrierte sich der BGH hier auf eine spezifische Formulierung. Zudem fand dieser Fall bereits vor der Entscheidung im Fall I ZR 197/22 statt und kann als Vorläufer gesehen werden.
I ZR 197/21
Sachverhalt
In diesem Verfahren ging es um die Bewerbung eines Reinigungsmittels mit der Aussage “besonders schonend zur Haut”. Die Klägerin, eine Wettbewerbszentrale, hielt diese Aussage für irreführend und klagte auf Unterlassung. Die Beklagte argumentierte, dass das Produkt tatsächlich hautschonend sei und die Aussage daher gerechtfertigt.
Urteil
Der BGH entschied, dass die Aussage “besonders schonend zur Haut” in der Werbung für das Reinigungsmittel unzulässig ist. Das Gericht stellte fest, dass die Aussage potenziell irreführend sei, da sie eine Sicherheit suggeriere, die nicht durch objektive Daten gestützt werde.
Unterschiede
Im Gegensatz zum Fall I ZR 197/22 betraf dieser Fall ein Reinigungsmittel und nicht ein Desinfektionsmittel. Zudem war die Formulierung “besonders schonend” Gegenstand der Entscheidung, während im Fall I ZR 197/22 die Aussage “sanft zur Haut” geprüft wurde. Beide Fälle zeigen jedoch die strenge Linie, die der BGH bei der Bewertung von Werbeaussagen verfolgt.
I ZR 150/24
Sachverhalt
In diesem Fall ging es um ein Biozidprodukt, das mit dem Slogan “100 % sicher für die Haut” beworben wurde. Die Klägerin, eine Verbraucherschutzorganisation, sah hierin eine unzulässige Werbung und klagte auf Unterlassung. Die Beklagte verteidigte die Aussage mit internen Studien, die die Sicherheit des Produkts belegten.
Urteil
Der BGH urteilte, dass der Slogan “100 % sicher für die Haut” nicht verwendet werden darf. Das Gericht führte aus, dass solche absoluten Aussagen geeignet seien, Verbraucher zu täuschen, und daher gegen die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 verstoßen.
Unterschiede
Der Fall I ZR 150/24 unterscheidet sich vom Fall I ZR 197/22 dadurch, dass hier eine absolute Aussage (“100 % sicher”) im Mittelpunkt stand. Während im Fall I ZR 197/22 mehrere Aussagen mit ähnlicher Wirkung geprüft wurden, konzentrierte sich der Fall I ZR 150/24 auf die Unzulässigkeit absoluter Sicherheitsversprechen in der Werbung.
FAQ
Was ist das Urteil?
Im Urteil I ZR 197/22 entschied der BGH, dass bestimmte Werbeaussagen für Desinfektionsschaum unzulässig sind.
Wer ist Kläger?
Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V.
Was sagt Art 72?
Art. 72 der VO (EU) Nr. 528/2012 verbietet irreführende Werbung für Biozidprodukte.
Welche Produkte?
Das Urteil betrifft Desinfektionsprodukte, insbesondere den T. Desinfektions-Hand-Schaum.
Wie lautet der Vorwurf?
Der Vorwurf lautet auf irreführende Werbung durch unzulässige Produktangaben.
Wer ist Beklagter?
Beklagte ist das deutsche Tochterunternehmen des schwedischen E.-Konzerns.
Welche Strafen?
Die Beklagte muss Unterlassung erwirken und Kosten des Rechtsstreits tragen.
Welche Beweise?
Beweise umfassen Werbeanzeigen und Produktetiketten.
Warum verboten?
Verboten wegen irreführender Angaben zur Hautverträglichkeit.
Welche Folgen?
Das Urteil schränkt Werbeaussagen für Biozidprodukte stark ein.