Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob ein Lieferant Ihnen plötzlich den Zugang zu einem wichtigen Produkt verweigern darf? Viele Menschen stehen vor genau diesem Problem und fühlen sich in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. In solchen Fällen kann ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs, das die Abhängigkeit von Spitzenmarken thematisiert, eine wertvolle Orientierungshilfe bieten.
KZR 28/98 Designer-Polstermöbel Belieferungsstreit
Vorfallbeschreibung
Konkrete Situation
In diesem Fall ging es um einen Streit zwischen einer bekannten Herstellerin von Designer-Polstermöbeln und einem Möbelhändler, der seit etwa 26 Jahren in Geschäftsbeziehungen mit der Herstellerin stand. Der Streit entstand, nachdem die Herstellerin beschlossen hatte, die Zusammenarbeit mit dem Händler zu beenden, da dieser wiederholt andere Händler mit ihren Produkten beliefert hatte. Die Herstellerin teilte dem Händler mit, dass sie die Geschäftsbeziehungen zum 31. Mai 1993 beenden werde und wies alle nach diesem Datum eingegangenen Bestellungen des Händlers zurück.
Klägerin (Herstellerin)
Die Klägerin, eine angesehene Herstellerin von Designer-Polstermöbeln, behauptet, dass der Beklagte gegen ihre Geschäftsbedingungen verstoßen habe, indem er ihre Produkte an andere Händler weiterverkauft hat. Sie besteht darauf, dass sie das Recht hat, die Geschäftsbeziehung zu beenden und verlangt die Begleichung offener Rechnungen aus der Zeit von Mai bis Juli 1993.
Beklagter (Möbelhändler)
Der Beklagte, ein Möbelhändler, der in A. tätig ist, ist der Meinung, dass er auf die Belieferung durch die Klägerin angewiesen ist, da sie ein marktstarkes Unternehmen sei, dessen Produkte für exklusive Möbelgeschäfte unverzichtbar sind. Der Beklagte fordert Schadensersatz wegen der verweigerten Lieferung und möchte, dass die Klägerin verpflichtet wird, ihn weiterhin zu beliefern.
Urteilsergebnis
Der Bundesgerichtshof gab der Revision des Beklagten teilweise statt. Das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf wurde in dem Punkt aufgehoben, in dem die Klage über einen Betrag von 141,82 DM hinaus stattgegeben und die Widerklage abgewiesen wurde. Die weitergehende Revision, die die Klage betrifft, wurde als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht muss nun erneut über den Fall verhandeln und entscheiden, auch über die Kosten der Revision.
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GWB § 20 Abs. 2
Der § 20 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) spielt eine zentrale Rolle in diesem Fall. Diese Vorschrift befasst sich mit der sogenannten “relativen Marktmacht” und schützt Unternehmen, die von einem anderen Unternehmen wirtschaftlich abhängig sind. In einfacheren Worten bedeutet dies, dass ein Unternehmen, das zwar nicht marktbeherrschend ist, aber dennoch eine wichtige Marktstellung innehat, seine Marktmacht nicht missbrauchen darf, um andere Unternehmen unzulässig zu benachteiligen. In diesem Fall wurde die Frage aufgeworfen, ob die Klägerin als relativ marktstarkes Unternehmen anzusehen ist, von dem der Beklagte abhängig ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
GWB § 33
Der § 33 GWB ist ebenfalls von Bedeutung, da er den Anspruch auf Schadensersatz und Unterlassung bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht regelt. Dieser Paragraph befugt Unternehmen, gegen ein anderes Unternehmen vorzugehen, wenn dieses durch sein Verhalten gegen die Vorschriften des GWB verstößt und dadurch Nachteile verursacht. Im Kontext dieses Falls bedeutet dies, dass der Beklagte die Möglichkeit hat, rechtliche Schritte einzuleiten, um eine weitere Belieferung zu erzwingen und möglichen Schadenersatz zu fordern, sofern die Klägerin gegen die Bestimmungen des GWB verstoßen hat.
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Prinzipielle Auslegung
GWB § 20 Abs. 2
Gemäß GWB § 20 Abs. 2 wird die Abhängigkeit eines Unternehmens von einem Lieferanten oder Abnehmer berücksichtigt, wenn diese Abhängigkeit auf einer besonders starken Marktstellung des anderen beruht. Typischerweise wird eine Spitzenstellungsabhängigkeit (eine Abhängigkeit aufgrund der marktführenden Position eines Produkts oder einer Marke) im Allgemeinen mit einer hohen Distributionsrate (Verbreitungsgrad der Produkte im Handel) verbunden. Dies bedeutet, dass ein Händler auf die Belieferung mit bestimmten Produkten angewiesen ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
GWB § 33
GWB § 33 regelt die Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz bei wettbewerbswidrigem Verhalten. Ein Unternehmen kann Schadensersatz verlangen, wenn durch ein marktstarkes Verhalten eines anderen Unternehmens ein Schaden entstanden ist. Dies setzt voraus, dass das Unternehmen nachweisen kann, dass es durch das Verhalten des anderen Unternehmens tatsächlich in seinen Marktchancen beeinträchtigt wurde.
Ausnahmen
GWB § 20 Abs. 2
Eine Ausnahme von der prinzipiellen Anwendung des GWB § 20 Abs. 2 kann vorliegen, wenn keine tatsächliche Abhängigkeit besteht. Dies wäre der Fall, wenn der Händler trotz einer hohen Distributionsrate nicht zwingend auf die Produkte eines bestimmten Herstellers angewiesen ist, weil er ausreichend Alternativen zur Verfügung hat, um sein Sortiment wettbewerbsfähig zu gestalten.
GWB § 33
Ausnahmen bei GWB § 33 könnten dann gegeben sein, wenn das Verhalten des marktstarken Unternehmens durch objektive Gründe gerechtfertigt ist. Zum Beispiel, wenn die Lieferverweigerung aus legitimen geschäftlichen Gründen erfolgte, die nicht darauf abzielen, den Wettbewerb unlauter zu beeinflussen.
Angewandte Auslegung
Im vorliegenden Fall wurde GWB § 20 Abs. 2 nicht im Sinne einer Spitzenstellungsabhängigkeit angewandt, sondern die Möglichkeit einer Spitzengruppenabhängigkeit (Abhängigkeit von einer Gruppe von Spitzenanbietern) wurde betrachtet. Das Gericht stellte fest, dass der Beklagte nicht ausreichend dargelegt hatte, dass er auf die Produkte der Klägerin angewiesen ist, um ein wettbewerbsfähiges Sortiment zu führen. Bei der Anwendung von GWB § 33 wurde geprüft, ob ein Schadensersatzanspruch aufgrund einer unzulässigen Lieferverweigerung besteht, wobei das Gericht letztlich feststellte, dass die Voraussetzungen für eine solche Abhängigkeit nicht ausreichend substantiiert waren.
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KZR 28/98 Lösungsmethoden
In dem Fall KZR 28/98 hat der Beklagte die Klage gegen die Lieferverweigerung durch die Klägerin verloren, da er die Abhängigkeit von der Belieferung durch die Klägerin nicht ausreichend substantiiert darlegen konnte. Diese Entscheidung zeigt, dass eine bloße Behauptung der Abhängigkeit ohne detaillierte Nachweise in solchen Fällen nicht ausreicht. Wäre der Beklagte in der Lage gewesen, umfassendere Beweise für seine Abhängigkeit von den Produkten der Klägerin vorzulegen, hätte er möglicherweise Erfolg haben können. In einem solchen Szenario wäre es ratsam gewesen, einen spezialisierten Anwalt für Wettbewerbsrecht hinzuzuziehen, um die Beweislage zu stärken und die Chancen auf einen positiven Ausgang zu erhöhen. Ohne ausreichende Beweise ist es oft effektiver, auf alternative Verhandlungsstrategien zu setzen, wie direkte Verhandlungen mit der Klägerin, um eine einvernehmliche Lösung zu finden, anstatt kostspielige und langwierige Gerichtsverfahren anzustreben.
Ähnliche Fälle Lösungsmethoden
Lieferverweigerung aufgrund Vertragsbruch
Wenn ein Händler aufgrund eines vermeintlichen Vertragsbruchs nicht mehr beliefert wird, sollte zunächst versucht werden, die Angelegenheit außergerichtlich zu klären. Eine direkte Ansprache des Lieferanten mit der Bitte um Klärung der Vertragsbedingungen kann Missverständnisse aufklären. Sollte dies nicht erfolgreich sein und der Händler überzeugt sein, dass die Vertragsbedingungen nicht verletzt wurden, könnte es sinnvoll sein, rechtlichen Rat einzuholen, um die Möglichkeiten für eine mögliche Klage zu prüfen. Eine Klage sollte jedoch nur in Betracht gezogen werden, wenn ausreichende Beweise für die Einhaltung der Vertragsbedingungen vorliegen.
Exklusivvertrieb trotz Konkurrenz
In einem Szenario, in dem ein Händler exklusive Vertriebsrechte beansprucht, aber Konkurrenzprodukte im selben Markt auftauchen, kann eine außergerichtliche Einigung oft der schnellste und kostengünstigste Weg sein. Ein Mediator kann helfen, eine Lösung zu finden, die für beide Parteien akzeptabel ist. Sollte eine Einigung nicht möglich sein, und der Händler ist der Ansicht, dass seine vertraglichen Rechte verletzt werden, könnte eine gerichtliche Klärung in Betracht gezogen werden. Hier wäre es ratsam, einen Anwalt hinzuzuziehen, der auf Handels- und Vertriebsrecht spezialisiert ist.
Unzureichende Sortimentsbreite
Wenn ein Händler feststellt, dass sein Sortiment aufgrund der Ablehnung von Lieferanten unzureichend ist, sollte er zunächst prüfen, ob andere Lieferanten die Lücken schließen können. Eine Diversifizierung der Lieferantenbasis kann langfristige Abhängigkeiten reduzieren. Sollte dies nicht möglich sein, und der Händler ist der Meinung, dass die Ablehnungen wettbewerbswidrig sind, könnte eine Beschwerde bei der Kartellbehörde eine Option sein, um den Druck auf die Lieferanten zu erhöhen. Eine Klage sollte nur erwogen werden, wenn klare Beweise für wettbewerbswidriges Verhalten vorliegen.
Andere Hersteller verweigern Lieferung
Wenn mehrere Hersteller die Lieferung an einen Händler verweigern, könnte dies ein Anzeichen für ein koordiniertes Verhalten sein, das gegen das Kartellrecht verstößt. In einem solchen Fall wäre es ratsam, rechtlichen Rat einzuholen und gegebenenfalls die Kartellbehörde zu informieren. Eine Klage gegen mehrere Hersteller kann kompliziert und kostspielig sein, daher sollte sie gut vorbereitet und nur als letzter Ausweg in Betracht gezogen werden, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind und Beweise für ein solches Verhalten vorliegen.
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Was ist Spitzengruppenabhängigkeit?
Eine Abhängigkeit, bei der ein Händler bestimmte Marken aus einer Spitzengruppe benötigt, um wettbewerbsfähig zu sein.
Wie wird Marktstärke definiert?
Marktstärke liegt vor, wenn ein Unternehmen auf dem Markt eine solch bedeutende Stellung hat, dass andere Marktteilnehmer von ihm abhängig sind.
Wann ist eine Belieferungspflicht gegeben?
Eine Belieferungspflicht besteht, wenn eine Abhängigkeit aufgrund von Marktstärke oder einer Spitzenstellung im Markt nachgewiesen werden kann.
Was beeinflusst die Sortimentsabhängigkeit?
Die Notwendigkeit, bestimmte Marken im Sortiment zu führen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, beeinflusst die Sortimentsabhängigkeit.
Wie erfolgt die gerichtliche Beurteilung?
Das Gericht prüft die Marktstellung des Unternehmens und die Abhängigkeit des Händlers, um zu entscheiden, ob eine Belieferungspflicht besteht.
Welche Rolle spielt die Distributionsrate?
Eine hohe Distributionsrate kann ein Indiz für die Notwendigkeit sein, bestimmte Produkte zu führen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wie definiert sich eine Spitzengruppe?
Eine Spitzengruppe besteht aus führenden Marken, die eine besondere Bedeutung und Anerkennung im Markt haben.
Welche Beweise sind erforderlich?
Es müssen Beweise vorgelegt werden, die die Abhängigkeit und die Marktstellung des Unternehmens belegen.
Was ist bei Vertragsbeendigung zu beachten?
Es muss geprüft werden, ob die Beendigung der Geschäftsbeziehung rechtmäßig erfolgte und ob eine Übergangsfrist gewährt wurde.
Wie wird ein Schadenersatzanspruch geltend gemacht?
Ein Schadenersatzanspruch wird geltend gemacht, indem der entstandene Schaden und die Ursache belegt werden.
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