Anwaltswerbung: Schwerpunktangabe auf Kanzleibriefen erlaubt? (AnwZ (B) 65/99)

Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob die Werbung Ihrer Anwaltskanzlei rechtlich einwandfrei ist? Viele Anwälte stehen vor ähnlichen Herausforderungen und fragen sich, wie weit sie bei der Bewerbung ihrer Spezialisierungen gehen dürfen. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs bietet hier Klarheit und kann Ihnen dabei helfen, Ihre Werbestrategien rechtssicher zu gestalten.

AnwZ (B) 65/99 Anwaltswerbung und Schwerpunktangabe

Fallübersicht

Konkrete Umstände

In diesem Fall geht es um eine Rechtsanwaltssozietät, deren Mitglieder auf ihren Kanzleibriefbögen sowie auf dem Kanzleischild Angaben zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten gemacht hatten. Diese bestanden darin, dass hinter den Namen der Anwälte hochgestellte Ziffern vermerkt waren, die auf Erläuterungen unterhalb der Liste verwiesen und die jeweiligen Schwerpunkte, wie Gesellschaftsrecht, Baurecht und Familienrecht, angaben. Die Anwaltskammer beanstandete diese Praxis und sah darin einen Verstoß gegen die Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA).

Kläger (Mitglieder der Anwaltssozietät)

Die Kläger, Mitglieder der Anwaltssozietät, argumentieren, dass die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten im Interesse der Mandanten sei, da diese eine genauere Vorstellung von den Fachgebieten der Anwälte erhielten. Sie sind der Ansicht, dass die Regelung der BORA, die solche Angaben einschränkt, ihre Berufsfreiheit unverhältnismäßig beschränkt.

Beklagte (Anwaltskammer)

Die beklagte Anwaltskammer vertritt die Auffassung, dass die Angabe von Schwerpunkten ohne den erforderlichen erläuternden Zusatz gegen § 7 Abs. 1 BORA verstößt. Die Kammer betont, dass die Regelung dazu diene, einer möglichen Irreführung der Rechtsuchenden vorzubeugen, die durch unpräzise oder übertriebene Werbung entstehen könnte.

Urteilsergebnis

Das Gericht entschied zugunsten der Anwaltskammer. Die Kläger verloren den Fall. Das Gericht stellte fest, dass die Regelung in § 7 Abs. 1 BORA mit dem Grundgesetz vereinbar ist und die Beschwerde der Kläger keinen Erfolg hatte. Daher mussten die Kläger die Kosten des Verfahrens tragen und der Anwaltskammer die notwendigen außergerichtlichen Auslagen erstatten.

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AnwZ (B) 65/99 Relevante Rechtsvorschriften

§ 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO

§ 59b Abs. 2 Nr. 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen die Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) Regelungen zu den besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit Werbung treffen kann. Diese Vorschrift erlaubt es, detaillierte Vorgaben zur Anwaltswerbung zu machen, insbesondere in Bezug auf die Nennung von Interessenschwerpunkten. Der Gesetzgeber hat hiermit dem Satzungsgeber (also der Organisation, die die Regeln für Anwälte festlegt) die Möglichkeit gegeben, die Werbefreiheit der Anwälte zu gestalten und zu begrenzen, solange dies im Einklang mit bestehendem Recht, insbesondere § 43b BRAO, steht.

§ 7 Abs. 1 BORA

§ 7 Abs. 1 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) regelt, dass Anwälte ihre Tätigkeitsschwerpunkte nur unter bestimmten Bedingungen angeben dürfen. Diese Regelung zielt darauf ab, die Öffentlichkeit vor irreführender Werbung zu schützen, indem sie sicherstellt, dass nur tatsächliche und nachweisbare Schwerpunkte benannt werden. Der Unterschied zwischen Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkt ist hier entscheidend: Ein Interessenschwerpunkt zeigt lediglich das Interesse des Anwalts an einem bestimmten Rechtsgebiet, während ein Tätigkeitsschwerpunkt nachweist, dass der Anwalt auf diesem Gebiet bereits über relevante Erfahrung verfügt.

Art. 12 Abs. 1 GG

Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) garantiert die Berufsfreiheit, die auch die Freiheit der Berufsausübung umfasst. Diese Freiheit kann jedoch eingeschränkt werden, wenn dies durch vernünftige Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt ist. Im Kontext der Rechtsanwaltswerbung bedeutet dies, dass Regelungen, die die Werbung von Anwälten einschränken, nur dann zulässig sind, wenn sie verhältnismäßig sind und dem Schutz der Allgemeinheit dienen, etwa durch die Verhinderung irreführender Informationen. Die Regelungen der BORA zu Werbung und Schwerpunktangaben stehen im Einklang mit diesem Grundsatz, indem sie sicherstellen, dass die Informationen, die Anwälte der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, klar und wahrheitsgemäß sind.

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AnwZ (B) 65/99 Entscheidungsgrundlagen

Grundsätzliche Auslegung

§ 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO

Die grundsätzliche Auslegung von § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) führt dazu, dass die Berufsordnung die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit Werbung und den Angaben über selbst benannte Interessenschwerpunkte regeln darf. Diese Regelungskompetenz ermöglicht es, die erlaubte Werbung näher zu definieren und einzuschränken, jedoch ohne die allgemeine Werbefreiheit unverhältnismäßig zu beschneiden.

§ 7 Abs. 1 BORA

Nach § 7 Abs. 1 BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte) dürfen Anwälte als Teilbereiche ihrer Berufstätigkeit nur Interessen- und/oder Tätigkeitsschwerpunkte benennen. Diese Regelung soll sicherstellen, dass die Informationen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, klar und nicht irreführend sind. Sie schützt somit das Informationsinteresse der Rechtsuchenden.

Art. 12 Abs. 1 GG

Art. 12 Abs. 1 GG (Grundgesetz) garantiert die Berufsfreiheit, die auch das Recht umfasst, die Öffentlichkeit über die eigene Tätigkeit zu informieren. Eingriffe in dieses Recht sind nur zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.

Ausnahmeauslegung

§ 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO

Eine Ausnahmeauslegung könnte vermuten lassen, dass die Regelung des § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO keine Werbung durch Benennung von Tätigkeitsschwerpunkten erlaubt. Jedoch ist dies nicht der Fall, da dieser Paragraph umfassend die berufsbezogene Werbung regeln soll, ohne spezifische Werbearten auszuschließen.

§ 7 Abs. 1 BORA

In Ausnahmefällen könnte man argumentieren, dass § 7 Abs. 1 BORA die Benennung von Tätigkeitsschwerpunkten übermäßig einschränkt. Diese Sichtweise wird jedoch durch die geregelte Unterscheidung zwischen Interessenschwerpunkten und Tätigkeitsschwerpunkten widerlegt, die im Interesse der Transparenz und Vermeidung von Irreführung der Mandanten steht.

Art. 12 Abs. 1 GG

Ausnahmen zur Berufsfreiheit könnten durch unverhältnismäßige Werbungseinschränkungen entstehen. Die in § 7 BORA enthaltenen Regeln stehen jedoch im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 GG, da sie einerseits die Informationsfreiheit der Anwälte und andererseits das Schutzbedürfnis der Verbraucher in Einklang bringen.

Angemessene Auslegung

In diesem Fall wurde die grundsätzliche Auslegung angewandt. Der Bundesgerichtshof entschied, dass § 7 Abs. 1 BORA durch die gesetzliche Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO gedeckt ist und mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar bleibt. Diese Entscheidung gründet auf der Erwägung, dass die Regelungen der BORA sowohl den Informationsbedarf der Öffentlichkeit als auch die Berufsfreiheit der Anwälte angemessen berücksichtigen. Die Unterscheidung zwischen Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkten wird als notwendig erachtet, um eine Irreführung der Rechtsuchenden zu vermeiden.

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Schwerpunktangabe Lösungsmöglichkeiten

AnwZ (B) 65/99 Lösung

In diesem Fall haben die Antragsteller den Rechtsweg beschritten, um gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin vorzugehen, die die Angabe von “Schwerpunkten” auf Kanzleibriefbögen als Verstoß gegen § 7 Abs. 1 BORA beanstandet hatte. Der Bundesgerichtshof hat jedoch die sofortige Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen, was bedeutet, dass die gewählte Vorgehensweise der Antragsteller nicht erfolgreich war. In solchen Fällen könnte es für die betroffenen Anwälte sinnvoller sein, im Vorfeld eine detaillierte rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um die Chancen und Risiken eines gerichtlichen Verfahrens besser einschätzen zu können. Da die Regelungen der BORA recht komplex und spezifisch sind, könnte die Konsultation eines Anwalts für Berufsrecht eine kosteneffizientere und zielführendere Lösung darstellen.

Ähnliche Fälle Lösung

Unterschiedliche Schwerpunktangaben

Stellen Sie sich vor, ein Anwalt möchte auf seiner Website unterschiedliche Schwerpunktangaben machen, die nicht durch § 7 BORA gedeckt sind. In diesem Fall wäre es ratsam, zunächst eine rechtliche Beratung einzuholen, um mögliche Verstöße zu vermeiden. Sollte der Anwalt dennoch rechtliche Schritte erwägen, könnte ein Mediationsverfahren mit der zuständigen Rechtsanwaltskammer eine schnellere und weniger kostspielige Lösung sein.

Fehlende Erläuterungen

Ein Anwalt hat auf seinem Kanzleischild einen Tätigkeitsschwerpunkt angegeben, jedoch ohne die erforderlichen Erläuterungen gemäß § 7 Abs. 1 BORA. Hier wäre es sinnvoll, den Fehler umgehend zu korrigieren, um mögliche Sanktionen zu vermeiden. Bei einem Streit mit der Rechtsanwaltskammer könnte ein klärendes Gespräch oder eine schriftliche Stellungnahme zur Bereinigung der Situation beitragen.

Veraltete Berufsordnung

Angenommen, ein Anwalt beruft sich auf eine veraltete Version der BORA, um einen Schwerpunkt zu rechtfertigen. In dieser Situation sollte der Anwalt die aktuelle Rechtslage prüfen und die Angaben entsprechend anpassen. Ein Rechtsstreit wäre hier vermutlich wenig erfolgversprechend, und eine Korrektur der Angaben wäre der pragmatischste Ansatz.

Irreführende Werbung

Ein Anwalt wird beschuldigt, durch die Angabe eines Schwerpunkts eine irreführende Werbung betrieben zu haben. In einem solchen Fall wäre ein frühzeitiges außergerichtliches Einlenken und die Anpassung der werblichen Angaben ratsam, um einen kostspieligen und langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden. Sollte eine Einigung nicht möglich sein, wäre eine Verteidigung vor Gericht nur bei klarer Beweislage zu empfehlen.

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FAQ

Was ist ein Schwerpunkt?

Ein Schwerpunkt bezeichnet einen bestimmten Bereich der anwaltlichen Tätigkeit, auf den sich ein Anwalt spezialisiert hat oder besonderes Interesse zeigt.

Wer darf Schwerpunkte angeben?

Rechtsanwälte dürfen Schwerpunkte angeben, sofern sie die Voraussetzungen der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) erfüllen.

Welche Gesetze gelten?

Die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) regeln die Schwerpunktangaben.

Was ist BORA?

BORA steht für die Berufsordnung für Rechtsanwälte, die Standesregeln und Berufspflichten von Anwälten in Deutschland festlegt.

Was ist BRAO?

BRAO ist die Bundesrechtsanwaltsordnung, das zentrale Gesetz, das die Rechte und Pflichten von Rechtsanwälten in Deutschland regelt.

Wie beeinflusst Art. 12 GG?

Art. 12 GG schützt die Berufsfreiheit und erlaubt Eingriffe nur, wenn sie durch das Gemeinwohl gerechtfertigt und verhältnismäßig sind.

Was bedeutet Interessenschwerpunkt?

Ein Interessenschwerpunkt ist ein Gebiet, auf das ein Anwalt seine beruflichen Interessen fokussiert, ohne zwingend umfangreiche Erfahrung zu haben.

Wie erfolgt die Auslegung?

Die Auslegung erfolgt anhand des objektivierten Willens des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der Vorschrift ergibt.

Was ist eine irreführende Werbung?

Irreführende Werbung liegt vor, wenn Angaben gemacht werden, die geeignet sind, das Publikum über die Qualifikationen oder Leistungen eines Anwalts zu täuschen.

Welche Strafen drohen?

Bei Verstößen gegen die Werberegelungen können berufsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnungen oder Ordnungsstrafen verhängt werden.

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