Grenzposten oder Verbrecherjagd? Eine fatale Entscheidung (2 StR 329/00)

Haben Sie sich jemals gefragt, ob ein vermeintlich gerechtfertigtes Handeln dennoch zu rechtlichen Konsequenzen führen könnte? Viele Menschen stehen vor ähnlichen Herausforderungen, besonders wenn es um die Abgrenzung zwischen rechtmäßigem Handeln und unerwarteten rechtlichen Folgen geht. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs kann in solchen Fällen Klarheit schaffen und mögliche Lösungen aufzeigen, daher lohnt es sich, dieses genauer zu betrachten.

2 StR 329/00 Körperverletzung mit Todesfolge

Fallübersicht

Konkreter Sachverhalt

Im Jahr 1950 war ein junger Mann, der als Grenzpolizist in der DDR tätig war, in einen Zwischenfall verwickelt, bei dem ein Grenzübertritt tödlich endete. Der Grenzpolizist wurde beschuldigt, das spätere Opfer, das die Grenze ohne Erlaubnis überquert hatte, mit einem Schuss tödlich verletzt zu haben. Der Schuss fiel, als der Mann versuchte, sich der Festnahme zu entziehen. Der Grenzpolizist behauptete, er habe lediglich beabsichtigt, den Flüchtenden zu stoppen und billigend eine Körperverletzung in Kauf genommen, nicht aber dessen Tod. Damals galten bestimmte Dienstanweisungen, die den Schusswaffengebrauch unter bestimmten Umständen erlaubten.

Anspruch des Klägers (Grenzpolizist)

Der Grenzpolizist, der als Kläger auftrat, behauptet, er habe im Einklang mit den damals geltenden Dienstanweisungen gehandelt, die ihm den Einsatz der Schusswaffe zur Verhinderung von Grenzübertritten erlaubten. Er argumentiert, sein Handeln sei durch die Befehlslage gedeckt gewesen und daher nicht rechtswidrig. Er habe weder eine Tötungsabsicht gehabt noch sei ihm die Rechtswidrigkeit seines Handelns offensichtlich gewesen.

Anspruch des Beklagten (Staat)

Der Staat, vertreten durch die Staatsanwaltschaft, argumentiert, dass der Grenzpolizist rechtswidrig gehandelt habe, da der Schuss, der zum Tod des Grenzübertreters führte, unverhältnismäßig gewesen sei. Der Staat behauptet, dass der Kläger hätte erkennen können, dass sein Handeln rechtswidrig war, und dass ihm daher kein Entschuldigungsgrund zustehe.

Urteilsergebnis

Der Kläger, der Grenzpolizist, hat den Prozess gewonnen. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und den Grenzpolizisten freigesprochen. Der Staat muss die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Klägers tragen. Das Gericht entschied, dass es aufgrund der langen Zeit seit der Tat unwahrscheinlich sei, in einer neuen Hauptverhandlung zusätzliche Feststellungen für einen Schuldspruch zu treffen.

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2 StR 329/00 Relevante Rechtsnormen

§ 19 Dienstanweisung Grenzpolizei

Die “Dienstanweisung für die Grenzpolizei zur Bewachung der Demarkationslinie in der Sowjetokkupationszone Deutschlands” von 1947 legt fest, dass Polizisten das Überschreiten der Demarkationslinie verhindern und Grenzverletzer festnehmen müssen. Dies bedeutete, dass jeder, der die Grenze ohne Erlaubnis überquerte, mit Konsequenzen rechnen musste. Die Anweisung zielte darauf ab, die staatliche Kontrolle und Sicherheit an der Grenze zu gewährleisten. Eine solche Regelung war in der damaligen politischen Situation von großer Bedeutung, um illegale Grenzübertritte zu verhindern.

§ 20 Dienstanweisung Waffengebrauch

Diese Anweisung erlaubt den Einsatz von Schusswaffen bei Fluchtversuchen von Grenzverletzern, wenn andere Maßnahmen wie Haltrufe oder Warnschüsse nicht ausreichten. Der Gebrauch der Waffe war als letztes Mittel gedacht, um die Festnahme zu sichern. Es war also nicht einfach eine Erlaubnis, sofort zu schießen, sondern eine Regelung, die eine abgestufte Eskalation der Gewalt vorsah.

§ 27 Instruktion Grenzschutz

Gemäß dieser Instruktion konnte die Grenzpolizei Schusswaffen einsetzen, wenn ein Grenzverletzer flüchtete und alle anderen Festnahmemöglichkeiten erschöpft waren. Das bedeutet, dass die Waffe nicht ohne Grund eingesetzt werden durfte, sondern nur dann, wenn es keine andere Möglichkeit gab, den Flüchtenden zu stoppen. Diese Vorschrift verdeutlicht, dass der Schusswaffengebrauch eine ernstzunehmende Handlung war, die durch spezifische Umstände gerechtfertigt werden musste.

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2 StR 329/00 Urteilsgrundsätze

Grundsätzliche Auslegung

§ 19 Dienstanweisung Grenzpolizei

Die grundsätzliche Auslegung von § 19 der Dienstanweisung für die Grenzpolizei besagt, dass Polizisten dazu verpflichtet sind, den Grenzübertritt zu verhindern und Grenzverletzer festzunehmen. Diese Vorschrift, die aus der Zeit der sowjetischen Besatzungszone stammt, zielt darauf ab, die territoriale Integrität zu bewahren. Die Polizisten sind angehalten, Personen, die versuchen, die Demarkationslinie zu überschreiten, festzunehmen.

§ 20 Dienstanweisung Waffengebrauch

§ 20 der Dienstanweisung erlaubt den Waffeneinsatz, wenn ein Grenzverletzer flieht und keine anderen Mittel zur Festnahme zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass ein Warnschuss abgegeben werden darf, bevor gezielt geschossen wird. Das Ziel ist es, eine Festnahme zu ermöglichen, bevor der Grenzverletzer entkommt.

§ 27 Instruktion Grenzschutz

Die Instruktion gemäß § 27 sieht vor, dass der Waffengebrauch nur dann gerechtfertigt ist, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Festnahme – wie Haltrufe oder Warnschüsse – erschöpft sind. Diese Regelung soll sicherstellen, dass der Waffeneinsatz als letztes Mittel erfolgt.

Ausnahmesituation Auslegung

§ 19 Dienstanweisung Grenzpolizei

In Ausnahmefällen könnte § 19 so ausgelegt werden, dass die Einhaltung der Anweisungen zwar geboten ist, jedoch auch situative Besonderheiten berücksichtigt werden müssen. Dies bedeutet, dass ein Grenzpolizist in extremen Situationen möglicherweise anders handeln könnte, um eine größere Gefahr abzuwenden.

§ 20 Dienstanweisung Waffengebrauch

Bei der Auslegung von § 20 in Ausnahmesituationen könnte die Anwendung der Waffe restriktiver betrachtet werden, insbesondere wenn der Grenzverletzer keine unmittelbare Bedrohung darstellt. Hier könnte ein Polizist überlegen, ob der Gebrauch der Waffe wirklich notwendig ist oder ob es andere Wege gibt, die Situation zu entschärfen.

§ 27 Instruktion Grenzschutz

Für § 27 könnte die Ausnahmesituation bedeuten, dass der Waffengebrauch nur dann als gerechtfertigt angesehen wird, wenn eine akute und unüberwindbare Bedrohung vorliegt. Der Polizist müsste abwägen, ob der Schusswaffeneinsatz im Verhältnis zur Bedrohung steht.

Angewandte Auslegung

In diesem Fall wurden die Dienstanweisungen und Instruktionen eher im Rahmen der grundsätzlichen Auslegung betrachtet. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die Befehlslage und die Dienstanweisungen zum Zeitpunkt der Tat als ausreichende rechtliche Grundlage angesehen wurden. Dies lag daran, dass die Befehle und Anweisungen die Verhältnismäßigkeit des Waffeneinsatzes berücksichtigten. Es wurde zudem festgestellt, dass der Angeklagte nicht offensichtlich gegen das Recht verstieß, da er keine Tötungsabsicht hatte und die Umstände der damaligen Zeit seine Wahrnehmung beeinflussten. Dieser Ansatz zeigt, dass die grundsätzliche Auslegung der Vorschriften trotz der Schwere der Tat in diesem Fall entscheidend war.

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Körperverletzung mit Todesfolge Lösung

2 StR 329/00 Lösungsmethode

In diesem Fall wurde der Angeklagte letztlich freigesprochen, da die damaligen Dienstanweisungen und Befehle, unter denen der Angeklagte handelte, als ausreichend angesehen wurden, um sein Verhalten zu rechtfertigen. Die Entscheidung, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und den Angeklagten freizusprechen, zeigt, dass die Revision ein richtiger Schritt war, um die Rechtslage zu klären. Für den Angeklagten war es sinnvoll, einen erfahrenen Rechtsanwalt zu involvieren, da die komplexe Rechtslage und die historischen Hintergründe eine professionelle Verteidigung erforderten. In ähnlichen Fällen, in denen historische Befehlslagen und Rechtfertigungsgründe eine Rolle spielen, ist die Inanspruchnahme eines spezialisierten Anwalts ratsam, um die Chancen auf einen erfolgreichen Ausgang zu erhöhen.

Ähnliche Fälle Lösungsmethoden

Unbewaffneter Grenzübertritt

Wenn jemand unbewaffnet über eine Grenze geht und dabei festgenommen wird, ist es oft ratsam, die Situation zunächst außergerichtlich zu klären. Ein Gespräch mit den zuständigen Behörden kann Missverständnisse ausräumen. Sollte eine Klage dennoch erforderlich sein, könnte ein Rechtsanwalt helfen, die Chancen einer erfolgreichen Verteidigung zu erhöhen.

Geplante Grenzüberquerung

Bei einer geplanten, aber missverständlichen Grenzüberquerung, bei der rechtliche Grauzonen ausgenutzt wurden, könnte eine rechtliche Beratung im Vorfeld helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Falls es zu rechtlichen Streitigkeiten kommt, wäre es ratsam, einen Anwalt hinzuzuziehen, um die rechtlichen Rahmenbedingungen besser zu verstehen und gegebenenfalls vor Gericht eine klare Position zu vertreten.

Falscher Alarm bei Festnahme

In Fällen, in denen es zu einem falschen Alarm bei einer Festnahme kommt, etwa durch eine Fehlinterpretation von Situationen, ist es oft klüger, das Missverständnis durch direkte Kommunikation mit den Behörden zu klären. Eine gerichtliche Auseinandersetzung sollte nur in Betracht gezogen werden, wenn keine außergerichtliche Lösung gefunden werden kann. Dabei kann eine rechtliche Beratung hilfreich sein, um die Möglichkeiten und Risiken einer Klage abzuwägen.

Missverständnis bei Waffengebrauch

Bei einem Missverständnis, das zum unberechtigten Gebrauch von Waffen führt, ist es entscheidend, alle relevanten Informationen zu dokumentieren und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen. Eine gerichtliche Klärung kann sinnvoll sein, um Verantwortlichkeiten zu klären, sollte jedoch gut vorbereitet werden. Der Beistand eines Rechtsanwalts kann hier von Vorteil sein, um die Komplexität des Falles zu navigieren und eine angemessene Verteidigungsstrategie zu entwickeln.

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FAQ

Körperverletzung Definition

Was versteht man unter Körperverletzung im rechtlichen Sinne?

Körperverletzung ist die vorsätzliche oder fahrlässige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder Gesundheit einer Person.

Waffengebrauchsrecht

Darf die Polizei Schusswaffen einsetzen?

Ja, aber nur unter strengen Bedingungen, die in den jeweiligen Dienstvorschriften geregelt sind, wie z.B. zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr.

Grenzpolizei Befugnisse

Welche Befugnisse hat die Grenzpolizei?

Die Grenzpolizei darf Maßnahmen ergreifen, um unerlaubte Grenzübertritte zu verhindern und Personen festzunehmen, die gegen Einreisebestimmungen verstoßen.

Schusswaffeneinsatz

Wann ist der Einsatz von Schusswaffen gerechtfertigt?

Der Einsatz ist gerechtfertigt, wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen und eine erhebliche Gefahr abgewehrt werden muss.

Rechtswidrige Handlungen

Was macht eine Handlung rechtswidrig?

Eine Handlung ist rechtswidrig, wenn sie gegen ein Gesetz verstößt und kein Rechtfertigungsgrund vorliegt.

Verhältnismäßigkeitsprinzip

Was bedeutet das Verhältnismäßigkeitsprinzip?

Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen, ohne über das Notwendige hinauszugehen.

Rolle des Grenzbeamten

Welche Rolle spielt ein Grenzbeamter?

Ein Grenzbeamter ist verantwortlich für die Überwachung und Sicherung der Grenzen sowie die Durchsetzung von Einreisebestimmungen.

Unvermeidbarer Verbotsirrtum

Was ist ein unvermeidbarer Verbotsirrtum?

Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum liegt vor, wenn der Täter trotz angemessener Sorgfalt nicht erkennen konnte, dass sein Handeln rechtswidrig ist.

Entschuldigungsgründe

Welche Entschuldigungsgründe gibt es im Strafrecht?

Entschuldigungsgründe sind z.B. Notwehr, entschuldigender Notstand oder Handeln auf Befehl, sofern die Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich ist.

DDR-Rechtsprechung

Wie beeinflusst die DDR-Rechtsprechung heutige Urteile?

Frühere DDR-Rechtsprechung kann als milderes Recht berücksichtigt werden, insbesondere bei Handlungen, die zur damaligen Zeit gerechtfertigt waren.

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