Jugendverfehlungen und ihre späte Folgen (2 StR 352/00)

Haben Sie sich jemals gefragt, ob alte Jugendverurteilungen gegen Sie verwendet werden können? Viele Menschen stehen vor der Herausforderung, dass vergangene Vergehen aus ihrer Jugendzeit im Erwachsenenalter gegen sie verwendet werden könnten. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs bietet in solchen Fällen Klarheit und Schutz, sodass es sich lohnt, sich damit vertraut zu machen.

2 StR 352/00 Vergewaltigung und mehr

Fallübersicht

Konkrete Situation

Ein Angeklagter, dessen Identität anonym bleibt, war in eine rechtlich komplexe Situation verwickelt. Ihm wurde vorgeworfen, in drei Fällen Vergewaltigung begangen zu haben. In einem dieser Fälle kam noch die schwere räuberische Erpressung hinzu. Zusätzlich wurde ihm sexuelle Nötigung zur Last gelegt. Die Vorfälle führten zu einer Anklage, in der das Landgericht Köln eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verhängte und die Sicherungsverwahrung anordnete. Darüber hinaus wurden ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von fünf Jahren verhängt. Auch im Adhäsionsverfahren (Verfahren zur gleichzeitigen zivilrechtlichen Entscheidung in einem Strafprozess) wurde er verurteilt.

Ansprüche des Klägers (Angeklagter)

Der Angeklagte, der mit diesem Urteil nicht einverstanden war, legte Revision ein. Er argumentierte, dass sowohl formelles als auch materielles Recht verletzt worden seien. Insbesondere bemängelte er die Anordnung der Sicherungsverwahrung, die auf Verhaltensweisen in seiner Jugendzeit gestützt wurde, für die er bereits eine Jugendstrafe abgesessen hatte. Seiner Meinung nach dürften diese jugendlichen Verfehlungen nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden, da sie gemäß dem Bundeszentralregistergesetz (BZRG) als getilgt gelten.

Ansprüche des Beklagten (Staatsanwaltschaft)

Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass die Verurteilung angemessen war und die Sicherungsverwahrung gerechtfertigt sei, um die Gesellschaft zu schützen. Sie verwies auf die Schwere der Verbrechen und sah die früheren Verhaltensweisen des Angeklagten als relevant für die Einschätzung seines zukünftigen Gefährdungspotenzials an. Der Staatsanwaltschaft zufolge rechtfertigten die Umstände der Taten und die vorherigen Verfehlungen die Maßnahmen des Landgerichts.

Urteilsergebnis

Der Bundesgerichtshof entschied zugunsten des Angeklagten, soweit es die Sicherungsverwahrung betrifft. Diese wurde aufgehoben, da das Landgericht gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG verstoßen hatte, indem es jugendliche Verhaltensweisen des Angeklagten herangezogen hatte, die längst getilgt waren. Der Fall wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wurde jedoch verworfen, wodurch die restliche Verurteilung des Angeklagten Bestand hatte.

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2 StR 352/00 Relevante Rechtsvorschriften

§ 349 Abs. 2 und 4 StPO

Der § 349 der Strafprozessordnung (StPO) regelt die Entscheidung über Revisionen im Strafverfahren. Absatz 2 ermöglicht es dem Gericht, die Revision ohne Hauptverhandlung als unbegründet zu verwerfen, wenn sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Absatz 4 hingegen sieht vor, dass das Urteil in Teilen aufgehoben werden kann, wenn nur bestimmte Aspekte des Urteils angegriffen werden. Diese Regelungen sind wichtig, um den Verfahrensablauf effizient zu gestalten und unnötige Gerichtstage zu vermeiden. In diesem Fall hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgehoben, während die übrigen Rügen als unbegründet verworfen wurden.

§ 51 Abs. 1 BZRG

Der § 51 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) enthält das Verwertungsverbot für tilgungsreife Verurteilungen. Tilgungsreife bedeutet, dass eine Verurteilung nach einer bestimmten Frist nicht mehr im Rechtsverkehr gegen eine Person verwendet werden darf. Diese Regelung schützt davor, dass alte Verurteilungen, die rechtlich als „getilgt“ gelten, weiterhin negative Konsequenzen für die betroffene Person haben. Im vorliegenden Fall wurde gegen dieses Verbot verstoßen, da der Tatrichter die Sicherungsverwahrung auch auf Verhaltensweisen des Angeklagten stützte, die aus einer bereits getilgten Jugendverurteilung stammten.

§ 66 StGB

Der § 66 des Strafgesetzbuches (StGB) regelt die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Sicherungsverwahrung ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung, die zusätzlich zur Freiheitsstrafe verhängt werden kann, wenn eine hohe Gefahr besteht, dass der Täter erneut schwere Straftaten begeht. Sie dient dem Schutz der Allgemeinheit und wird oft bei Sexual- und Gewaltstraftätern angewendet. In diesem Fall war die Anordnung der Sicherungsverwahrung fehlerhaft, weil der Tatrichter unzulässig auf die tilgungsreifen Jugendverurteilungen Bezug nahm, was das Urteil angreifbar machte.

§ 45 Abs. 1 i.V.m. § 34 Nr. 1 BZRG

Diese Bestimmungen des BZRG legen fest, ab wann die Tilgungsfrist für eine Verurteilung beginnt. Die Tilgungsfrist ist der Zeitraum, nach dem eine Verurteilung aus dem Bundeszentralregister gelöscht wird und somit als „getilgt“ gilt. Die Frist beginnt in der Regel mit dem Tag des ersten Urteils. Diese Regelungen sind entscheidend für die Beurteilung, ob eine Verurteilung im Rahmen eines neuen Strafverfahrens noch verwertet werden darf oder nicht. Im hier behandelten Fall war die relevante Tilgungsfrist bereits abgelaufen, was die Verwertung der Jugendverurteilung unzulässig machte.

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2 StR 352/00 Entscheidungsgrundlagen

Grundsätzliche Auslegung

§ 349 Abs. 2 und 4 StPO

Nach § 349 Abs. 2 und 4 der Strafprozessordnung (StPO) können Revisionen ohne mündliche Verhandlung als unbegründet verworfen werden, wenn das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Dies bedeutet, dass das Gericht die Möglichkeit hat, ohne weitere Anhörungen zu entscheiden, wenn die Sachlage klar erscheint.

§ 51 Abs. 1 BZRG

Gemäß § 51 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) dürfen getilgte Verurteilungen nicht zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden. Das Ziel dieser Regelung ist der Schutz der Resozialisierung, indem verhindert wird, dass alte Verfehlungen weiterhin negative Konsequenzen haben.

§ 66 StGB

Die Regelung des § 66 im Strafgesetzbuch (StGB) betrifft die Sicherungsverwahrung, eine Maßnahme, die nach Verbüßung der Haftstrafe zur Sicherung der Allgemeinheit angeordnet werden kann. Hierbei muss der Hang zu erheblichen Straftaten nachgewiesen werden, was eine sorgfältige Abwägung der Vergangenheit des Täters erfordert.

§ 45 Abs. 1 i.V.m. § 34 Nr. 1 BZRG

Diese Regelung erläutert, ab wann die Tilgungsfrist für eine Verurteilung beginnt. In Verbindung mit § 34 Nr. 1 BZRG wird festgelegt, dass die Frist mit dem Datum des ersten Urteils beginnt, welches in ein späteres Urteil einbezogen wurde.

Ausnahmeauslegung

§ 349 Abs. 2 und 4 StPO

In Ausnahmefällen kann eine Revision trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit nicht verworfen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machen. Diese Umstände sind jedoch selten und müssen klar begründet sein.

§ 51 Abs. 1 BZRG

Eine Ausnahme von der Nichtverwertbarkeit getilgter Verurteilungen kann gegeben sein, wenn der Betroffene selbst auf die Verurteilung zu seiner Entlastung verweist. Dies verdeutlicht, dass die Verwertung nur dann zulässig ist, wenn sie im Interesse des Betroffenen liegt.

§ 66 StGB

Eine Ausnahme bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung kann in Betracht gezogen werden, wenn aktuelle Gutachten oder neue Tatsachen den Hang zu zukünftigen Straftaten belegen, selbst wenn frühere Verurteilungen getilgt sind.

§ 45 Abs. 1 i.V.m. § 34 Nr. 1 BZRG

Die Ausnahme von der Fristberechnung könnte eintreten, wenn zwischenzeitliche Urteile oder Änderungen in der Gesetzgebung eine Neuberechnung erforderlich machen, um der aktuellen rechtlichen Situation gerecht zu werden.

Angewandte Auslegung

In diesem Fall wurde primär die grundsätzliche Auslegung der relevanten Paragraphen angewandt. Das Gericht hat entschieden, dass die Sicherungsverwahrung rechtsfehlerhaft war, da § 51 Abs. 1 BZRG verletzt wurde. Die Verwertung der Jugendverurteilungen des Angeklagten war unzulässig, da diese bereits getilgt waren und somit nicht zum Nachteil des Angeklagten hätten verwendet werden dürfen. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass die grundsätzliche Auslegung des BZRG zur Anwendung kam, um die Resozialisierung des Täters zu schützen und alte Verurteilungen nicht weiter zu belasten.

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Sicherungsverwahrung Lösungsmethoden

2 StR 352/00 Lösungsmethoden

In dem vorliegenden Fall hat der Angeklagte seine Revision teilweise erfolgreich durchgesetzt, indem das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund fehlerhafter Berücksichtigung von Jugendvergehen aufgehoben hat. Dies zeigt, dass die rechtliche Überprüfung der Verwertbarkeit von Vorstrafen entscheidend sein kann. Für den Angeklagten war der Gang vor das Gericht die richtige Entscheidung. Bei komplexen Fällen wie diesem, wo es um die rechtliche Bewertung von Vorstrafen geht, wäre die Unterstützung eines erfahrenen Strafverteidigers ratsam. Ein “Do-it-yourself”-Ansatz könnte hier nicht die nötige Tiefe und Expertise bieten, um die juristischen Feinheiten erfolgreich zu navigieren.

Ähnliche Fälle Lösungsmethoden

Jugendstrafe ohne Vorstrafen

Stellen Sie sich vor, eine Person wurde im Jugendalter verurteilt, hat aber keine vorherigen Vorstrafen. Hier könnte es sinnvoll sein, eine außergerichtliche Einigung mit den beteiligten Parteien anzustreben, um zukünftige rechtliche Komplikationen zu vermeiden. Ein Mediator könnte helfen, einen Konsens zu finden.

Vergehen ohne Wiederholungstaten

In einem Fall, in dem ein Angeklagter für ein Vergehen verurteilt wurde, jedoch keine Wiederholungstaten begangen hat, könnte eine außergerichtliche Lösung sinnvoller sein. Die Beteiligten könnten gemeinsam prüfen, ob eine Verhaltensänderung nachgewiesen werden kann, um die rechtlichen Konsequenzen zu mildern.

Fehlende Beweise von Verhaltensauffälligkeiten

Angenommen, es gibt keine überzeugenden Beweise für Verhaltensauffälligkeiten, die eine Sicherungsverwahrung rechtfertigen würden. Hier wäre eine gerichtliche Auseinandersetzung sinnvoll, um die Unzulänglichkeit der Beweislage aufzuzeigen. Die Unterstützung durch einen Anwalt wäre empfehlenswert, um den Fall fundiert darzulegen.

Verjährte Vorstrafen

In einem Szenario, in dem nur verjährte Vorstrafen in Betracht gezogen werden, wäre es wichtig, die rechtlichen Möglichkeiten zur Anfechtung der Verwertung dieser Vorstrafen zu prüfen. Ein Anwalt könnte helfen, die Verjährungsfristen genau zu analysieren und gegebenenfalls eine gerichtliche Klärung zu erwirken.

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FAQ

Was ist Sicherungsverwahrung

Sicherungsverwahrung ist eine Maßnahme zur Unterbringung von Straftätern nach Verbüßung ihrer Haftstrafe, wenn von ihnen weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.

Wann gilt Verwertungsverbot

Ein Verwertungsverbot gilt, wenn frühere Verurteilungen oder Taten, die aus dem Bundeszentralregister getilgt wurden, im aktuellen Verfahren nicht zu Ungunsten des Angeklagten verwendet werden dürfen.

Wie wirkt Jugendstrafe

Die Jugendstrafe dient der Erziehung und nicht der Vergeltung. Frühere Jugendstrafen dürfen in späteren Verfahren nur unter bestimmten Bedingungen berücksichtigt werden.

Wer entscheidet über Revision

Über eine Revision entscheidet das zuständige Revisionsgericht, oft ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der prüft, ob Rechtsfehler im Urteil vorliegen.

Welche Rolle spielt StPO

Die Strafprozessordnung (StPO) regelt das Verfahren im Strafprozess, einschließlich der Rechte und Pflichten der Beteiligten sowie der Abläufe von Ermittlungen bis zur Revision.

Wann tritt Tilgungsreife ein

Tilgungsreife tritt ein, wenn die gesetzliche Frist zur Tilgung einer Eintragung im Bundeszentralregister abgelaufen ist und die Eintragung somit nicht mehr verwendet werden darf.

Wie beeinflusst BZRG Verfahren

Das Bundeszentralregistergesetz (BZRG) regelt die Speicherung und Tilgung von Verurteilungen und beeinflusst, welche Informationen im Strafverfahren verwertet werden dürfen.

Wann ist Strafmaß sicher

Ein Strafmaß ist sicher, wenn es rechtskräftig ist, d.h., wenn es nicht mehr durch Berufung oder Revision angefochten werden kann.

Was ist Adhäsionsverfahren

Das Adhäsionsverfahren erlaubt es, zivilrechtliche Ansprüche im Rahmen eines Strafprozesses geltend zu machen, beispielsweise Schadenersatzansprüche des Opfers gegen den Täter.

Wie lang ist Sperrfrist

Die Sperrfrist bezieht sich oft auf den Zeitraum, in dem nach einem Entzug der Fahrerlaubnis kein neuer Führerschein beantragt werden kann. Die Dauer variiert je nach Urteil, hier fünf Jahre.

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